Zugegeben, einfach so vorbeischauen bei jüdischen Einrichtungen geht in Deutschland noch immer nicht. Vor vielen jüdischen Gebetshäusern stehen Polizeiwagen zur Sicherheit und vor Betreten jüdischer Gemeindezentren muss man oft eine Ausweiskontrolle oder ähnliches durchlaufen. So auch bei der Münchner Ohel – Jakob - Synagoge: Spontanbesichtigungen gibt es nicht, vielmehr muss man sich als Einzelperson vorher telefonisch oder per Internet anmelden. Eine Änderung der teilnehmenden Personen ist nur bis maximal zehn Tage vor dem Zeitpunkt der Führung möglich und am Tag derselben hat man sich zwanzig Minuten vorher in der Sicherheitszentrale des Jüdischen Gemeindezentrums anzumelden und nach Ausweiskontrolle und Durchlaufen der Sicherheitsschleuse erfolgt der Zugang zur Synagoge auch nicht direkt, sondern unterirdisch über das Gemeindezentrum. Bedauerlicherweise sind diese Maßnahmen aber immer noch notwendig, da eine Clique Unverbesserlicher und Ewiggestriger nach wie vor glaubt, Menschen jüdischen Glaubens in der Ausübung eben desselben stören und deren physische Integrität bedrohen zu müssen.
Doch zurück zur Synagoge und den anderen Gebäuden (Jüdisches Museum und Gemeindehaus) des neuen Ensembles am Sankt – Jakobs - Platz: gemeinsam ist allen drei Gebäuden das als Materialoberfläche verwendete Travertin von der Schwäbischen Alb, das jeden Israelbesucher sofort an Farbe und Struktur des in Jerusalem verbauten Steins denken läßt. Die Synagoge selbst besteht dabei aus einem Sockel aus dem erwähnten Travertin, der an die Klagemauer in Jerusalem erinnern soll, und einem zweiten, darüber liegenden Quader aus Glas, in dessen Metallstruktur sich Davidssterne erkennen lassen. Auch dieser Teil der Synagoge hat eine Bedeutung, denn er soll das Zelt symbolisieren, das für die 40jährige Wanderung der Juden durch die ägyptische Wüste steht. Auf dem Eingangsportal selbst befinden sich dann hebräische Buchstaben für die Zehn Gebote.
Nicht weniger beeindruckend als das Äußere der vom Architekturbüro Wandel, Hoefer und Lorch (ebenfalls verantwortlich für die Dresdner Synagoge) erbauten Synagoge ist der Innenraum. Dies fängt bereits mit dem Zugang an: über ein Treppenhaus (über einen Aufzug ist aber allen ein barrierefreier Zugang möglich) gelangt man zunächst zu einem Gang, der unterirdisch an die Synagoge heranführt und als Gang der Erinnerung bezeichnet wird. An einer Seite der Wand befinden sich nämlich die Namen der 4.500 Münchner Juden, die durch die Nationalsozialisten ermordet wurden.
Über ein weiteres Treppenhaus (das bedauerlicherweise nicht über einen beidseitigen Handlauf verfügt) gelangt man dann in den Vorraum der Synagoge und von diesem in die Synagoge selbst. Im Innenraum angekommen ist der Besucher – zumindest an sonnigen Tagen wie demjenigen des vorliegenden Besuchs – von dem lichtdurchfluteten Raum fast wie vom Blitz getroffen: der Himmel scheint so unmittelbar und zum Greifen nahe, dass man denkt, das Gebäude habe gar kein Dach. Zusätzlich ist der Raum von Goldtönen durchzogen denn die Sonne lässt die an den Wänden angebrachten, goldenen Buchstaben leuchten. Unterstützt wird dieser Eindruck durch die im Innenraum verwendeten Materialien, nämlich Zedernholz aus dem Libanon und hellem Jerusalem-Stein aus Israel. Nachdem der Gebetsraum ebenerdig und ohne Stufen ist (mit Ausnahme eines Bereichs, der von Gläubigen und Besuchern üblicherweise nicht betreten wird), dürfte der Zugang insofern keine Probleme bereiten. In Synagogen sitzen Männer und Frauen jedoch in der Regel getrennt und in München wurde die Lösung gewählt, dass die Frauen seitlich und abgetrennt durch eine Art löchrigen Paravent im Gebetsraum platziert sind. Diese Plätze sind im Vergleich zum übrigen Hauptraum nur durch Stufen zugänglich, wobei nicht geklärt werden konnte, ob Rollstuhlfahrer oder Gehbehinderte auch anders an ihre Plätze gelangen können.
Als bei der Weihung der Synagoge im November 2006 die Thorarollen aus der bisherigen Hauptsynagoge in der Reichenbachstraße in einer feierlichen Prozession zum Sankt – Jakobs – Platz getragen wurden, schlossen sich Tausende Münchner spontan an und machten den Umzug zu einem einzigartigen Ereignis.
Ob Interesse an der jüdischen Religion und Kultur oder auch nur Neugier auf neue sakrale Architektur, ein Besuch der Ohel – Jakob – Synagoge sei jedem wärmstens ans Herz gelegt.
Wolfgang Vogl
Schalom chawerim – zu Besuch in der Ohel–Jakob-Synagoge in München
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