Gesetzesauslese:
Der Schutz behinderten Lebens durch die Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes
„Mein Bauch gehört mir“ lautete der kämpferische Slogan einiger Frauen bei der seinerzeit emotional geführten Diskussion um die strafrechtliche Behandlung eines Schwangerschaftsabbruchs in den Siebziger Jahren. Mittlerweile haben sich die Wogen geglättet und seit Anfang der Neunziger Jahre gilt ein vergleichsweise liberales Recht zum Schwangerschaftsabbruch, wonach innerhalb der ersten zwölf Wochen nach erfolgter Beratung ein solcher unter bestimmten Voraussetzungen relativ problemlos möglich ist und darüber hinaus für Fälle der medizinischen oder kriminologischen (die Schwangerschaft ist mutmaßliches Ergebnis bestimmter Sexualstraftaten, beispielsweise einer Vergewaltigung) Indikation besondere Regelungen gelten (§ 218 a Absatz 2 und 3 Strafgesetzbuch – StGB). § 219 StGB beschreibt die bereits erwähnte Beratung näher und verweist im Übrigen auf das zeitgleich erlassene Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG). Den darin enthaltenen Beratungsanspruch hat der Gesetzgeber nun durch das Gesetz zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes vom 26. August 2009 (Bundesgesetzblatt, Teil I vom 14. September 2009, S. 2990 f.) ergänzt, das auf dem fraktionsübergreifenden Entwurf der Abgeordneten Singhammer, Griese und Lenke beruht. Nach den darin enthaltenen Bestimmungen wird die weitere Vorgehensweise geregelt, wenn ein pränatal-diagnostischer Befund auf eine geistige oder körperliche Behinderung des werdenden Lebens hinweist, also der Unterfall einer medizinischen Indikation im Sinne des § 218 a Absatz 2 StGB vorliegt. Diese Regelung tritt bereits am 1. Januar 2010 in Kraft.
Gemäß der jetzt beschlossenen Änderung hat bei Mitteilung einer solchen Diagnose durch Arzt oder Ärztin eine Beratung mit der Schwangeren stattzufinden. Nach der offensichtlichen Absicht des Gesetzgebers soll die Schwangere bei Bekanntgabe eines Umstandes dieser Tragweite in umfassender Weise informiert und dadurch weitest möglich so aufgefangen werden, dass sich die Gefahr von Kurzschlusshandlungen reduziert: neben einer allgemein verständlichen und ergebnisoffenen Erörterung medizinischer, psychischer und sozialer Fragen und der Möglichkeiten einer Unterstützung bei physischen und psychischen Belastungen sowie einem Hinweis auf weitergehende psychosoziale Beratung und andere Beratungsmöglichkeiten sind auch KollegInnen hinzuziehen, die mit einer solchen Gesundheitsschädigung bei geborenen Kindern Erfahrung haben (§ 2a Absatz 1 des neuen SchKG). Durch diese Einbeziehung wird sichergestellt, dass eine Beratung nicht nur theoretischer Natur sein wird, sondern auch die konkreten Aspekte eines Lebens mit einer solchen Gesundheitsbeeinträchtigung umfaßt und vor übereilten oder nicht in allen Einzelheiten durchdachten Entscheidungen bewahrt.
In dieselbe Richtung geht auch der neu eingefügte § 2a Absatz 2 SchKG durch Einfügung einer Dreitagesfrist: danach müssen zwischen der Beratung der Schwangeren (entweder gemäß § 2a Absatz 1 SchKG oder im Rahmen der Feststellung der Voraussetzungen eines Schwangerschaftsabbruchs nach § 2a Absatz 2, Satz 1 SchKG) und der Vornahme einer Abtreibung mindestens drei Tage liegen. Ausnahmen gelten nur für Fälle, in denen eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Schwangeren vorliegt.
Eine Zuwiderhandlung gegen die solchermaßen eingeführten ärztlichen Pflichten nach § 2a Absatz 1 und 2 SchKG ist strafbewehrt: sie stellt gemäß § 14 Absatz 1 Nrn. 1 und 2 SchKG eine Ordnungwidrigkeit dar, die mit einem Bußgeld bis zu 5.000 € geahndet werden kann.
Man mag diese Änderung im Hinblick auf die starre Dreitagesfrist und die Bußgeldandrohung als restriktiv kritisieren und ein Wiederaufleben eines Abtreibungstourismus befürchten (so die Befürworter des unterlegenen Gesetzesentwurfs der Abgeordneten Humme, Schewe-Gerigk und Ferner), inwieweit die geschaffenen Regelungen der zugrunde liegenden Konfliktlage gerecht werden und sich bei deren Lösung bewähren, kann aber keinesfalls bereits jetzt beurteilt werden, sondern wird sich erst in der Praxis erweisen müssen.
Wolfgang Vogl