Eine eindrucksvolle Ausstellung im Lenbachhaus. 

Joseph Mallord William Turner (1775 – 1851) war ein englischer Maler, Aquarellist und Zeichner. Er gilt als der bedeutendste bildende Künstler Englands in der Epoche der Romantik. Landschaften und Seestücke waren seine bevorzugten Themen, dem Licht und der Atmosphäre galt dabei sein besonderes Interesse“ (so Wikipedia). Sucht man einen Maler ähnlicher Richtung, könnte einem Caspar David Friedrich einfallen. Dem Lenbachhaus ist es in Zusammenarbeit mit der Londoner Tate Gallery gelungen, eine faszinierende Ausstellung von rund 40 Gemälden und 40 Aquarellen und Skizzen aus allen Schaffensphasen dieses Ausnahmekünstlers zu zeigen. Turner ist für uns heutige deswegen so interessant, weil er als Erneuerer der Kunst und Vorreiter der Moderne gilt. 

Seinen Zeitgenossen war er manchmal zu modern, er wurde verspottet, weil seine Bilder als ungenau oder dilettantisch galten und man bei manchen gar nicht erkennen könne, was sie darstellten. Aus dem in der Ausstellung zu sehenden „Dampfschiff in einem Schneesturm“ zum Beispiel erkennt man ein Schiff, Wellen Wolken und Bewegung, aber alles diffus und unscharf, die Wirkung von Licht und Dunkelheit ist wichtiger als Details. Kein Wunder, dass die zeitgenössische Kritik gespalten war – und dass die heutige Kritik, die durch die Entwicklung der Kunst in der Zwischenzeit anders sehen gelernt hat, begeistert ist. 

Die Ausstellung im Kunstbau des Lenbachhauses ist so aufgebaut: An der linken Seite finden wir Bilder, die zu Lebzeiten des Malers ausgestellt waren. Auf der rechten Seite solche, die er nicht öffentlich zeigte. Das erwähnte Bild vom Schiff im Schneesturm, an der Stirnseite des Saales präsentiert, leitet über zu den viel stärker abstrahierten, mutigeren und „moderner“ wirkenden nicht in der Öffentlichkeit gezeigten Werken. 

Man kann, wenn man will, hier Turner als einen Vorläufer des Impressionismus entdecken, als einen Vorläufer des Surrealismus, etwa in dem Bild, das das Gedicht „die Marke der Anarchie“ von Shelley zum Thema hat und ein Pferd und einen Skelettarm zeigt, und in manchen Landschaftsbildern ist die Naturdarstellung sogar auf abstrakt wirkende Farbflächen reduziert. 

Turner stammte als Sohn eines Perückenmachers aus einem bürgerlichen Haus. Wegen seiner Begabung wurde er als jüngstes Mitglied in die königliche Kunstakademie aufgenommen. Er verkaufte von Anfang an erfolgreich Bilder, weshalb er von seiner Kunst leben konnte (die Firma des Vaters machte wegen der Zeitumstände bankrott). Im Krieg mit dem napoleonischen Frankreich konnte der Maler zunächst nur in England reisen, entdeckte dort aber bislang vernachlässigte Motive, z. B. in Wales. Als er später in Europa reiste, bekam er in Frankreich, der Schweiz, Deutschland, Italien viele Eindrücke von der Welt, die er in seinen Skizzenbüchern festhielt und im Atelier später zu Ölbildern ausarbeitete. Dort sind sehr poetische und auch schon sehr „aufgelöste“ Bild von venezianischen Motiven entstanden. Das früheste in der Ausstellung zu sehende Venedigbild zeigt noch ganz detailgetreu eine Ansicht zusammen mit dem Maler Canaletto, der sie auf die Leinwand bannt. 

Das erwähnte Bild des Dampfschiffes in einem Schneesturm beschrieb der Kunsthistoriker E. H. Gombrich in seinem Werk „Die Geschichte der Kunst“: „Niemand könnte ein Dampfschiff des 19. Jahrhunderts nach Turners Seestück rekonstruieren. Alles, was er uns gibt, ist der Eindruck des dunklen Rumpfes, der Flagge, die mutig am Mast flattert, - einer Schlacht mit den tobenden Wellen und den bedrohlichen Böen. Wir spüren fast die Hetze des Windes und die Wirkung der Wellen. Wir haben keine Zeit, nach Details zu suchen. Sie werden von dem blendenden Licht und den dunklen Schatten der Sturmwolke verschluckt.“ 

Es ist müßig, über die Rolle Turners als Vorreiter dieser oder jener späteren Kunstrichtung zu spekulieren. Klar ist, er schaute genau und beobachtete scharf und gab das, was er sah, in seinen Bildern wieder, ohne sich von Rücksichten auf Moden oder Konventionen der Kunst beirren zu lassen. Eindrucksvoll und mutig. 

Über die Reaktion der zeitgenössischen Kritik und den Umgang damit durch den Maler und seine Unterstützer, vor allem den renommierten Kritiker John Ruskin, informiert ein Teil der Ausstellung in der „Rotunde“, der aber für Menschen im Rollstuhl nicht zugänglich ist, schade. Ich weiß nicht, ob man da eine Lösung hätte finden können. Übrigens kapitulierte selbst Ruskin vor den späten Bildern Turners und meinte, da hätte der nun doch abgebaut. 

Jedenfalls ist das eine Ausstellung, die zu besuchen sich unbedingt lohnt. Sie ist ein Fest für die Augen und außerdem sehr lehrreich. 

Für weiter Interessierte gibt es einen Katalog, und wen die Bilder zum Malen anregen, kann im Shop sogar Aquarellfarben und Pinsel erwerben. 

Jürgen Walla