..(oder wie ich mit so einem Trauma lernte umzugehen)
Eingangs möchte ich zu meinem Beitrag folgendes anmerken: In den letzten Jahren wurde ich sehr oft eingeladen/aufgefordert, darüber zu erzählen/schreiben, wie ich mit diesem traumatischen und mein Leben komplett verändernden Erlebnis umgehen gelernt habe bzw. es geschafft habe.
Jeder verarbeitet so ein Erlebnis anders, je nach seinen bisherigen Erfahrungen, seinem Können und Wissen. Auf Grund meines berufsfachlichen Hintergrunds bin ich auf keinen Fall ein Maßstab für andere. Vor 10 Jahren, am 21. Oktober 2005, war ich als ehrenamtlicher Mitarbeiter des KrisenInterventionsTeams des Roten Kreuzes, Bezirksstelle Linz-Stadt, auf dem Heimweg von einem KIT-Einsatz. Im Bereich des Voralpenkreuzes rammte mich (laut Polizeiprotokoll) ein anderer Autofahrer mit mehr als 100 km/h Differenz. Das Einzige was ich von diesem Ereignis weiß: ich liege irgendwo am Boden, es ist alles schwarz und ich spüre meine Füße nicht. Einem vermeintlichen Ersthelfer (war aber bereits ein FeuerwehrMann) erklärte ich, er dürfe mich nicht bewegen, da ich vermutlich eine Wirbelsäulenverletzung habe, da ich meine Füße nicht spüre und sagte ihm meine Versicherungsnummer für die Rettung und wie man meinen Namen richtig schreibe. Das einzige was er monoton wiederholte: DES is jetzt ned wichtig! Ich bekam nicht mit, dass der Unfallort durch die Feuerwehr voll ausgeleuchtet war und sich das Notarztteam u.a. auch um meine zertrümmerte linke Schulter/Thorax bemühte (was ich jedoch spürte) Das nächste, was mir in Erinnerung kam, war, wie ich in der Koje auf der Intensivstation aufwachte. Mich irritierten die Beatmungsschläuche, meine fixiert versorgte linke Schulter und dass ich auch meinen rechten Arm nicht wirklich bewegen konnte. Der sorgenvolle Blick meiner damaligen Lebensgefährtin veranlasste mich zu versuchen, meine Füße zu bewegen. Als dies nicht funktionierte, schoss es mir siedend heiß durch den Kopf, dass sich meine letzte Erinnerung des Verdachts einer Wirbelsäulenverletzung offenbar bestätigte.
Nun begann ein Kampf zwischen Vernunft (mein Wissen als Diplomkrankenpfleger) und der Abwehr gegen die unangenehmen Therapien (wie Druckbeatmung) auf der Intensivstation. Am Schlimmsten für mich war, still liegen zu müssen und nicht arbeiten/aktiv sein zu können und das Wechselbad zwischen Halluzinationen (durch die Medikamente) und den klaren Momenten, in denen ich wusste, dass das Hallus waren.
Als es mir dann auf der Intensivstation zunehmend besser ging, startete ich MEINE eigene Art der Bewältigung/Verarbeitung. Zusammen mit einem Lehrpfleger und Krankenpflegeschülerinnen des Krankenhauses Wels machte ich ein Lehr-Video zum Thema Grundpflege auf der Intensivstation. Auf der einen Seite war es eine willkommene Abwechslung und ich hatte das Gefühl, nicht nur tatenlos rumzuliegen und auf irgendetwas warten zu müssen. Zu diesem Zeitpunkt war ich auch noch voll darauf fixiert, in ein paar Monaten wieder zurück in den aktiven Krankenhausdienst zu kommen. Zum Glück ließ man mir diesen Glauben. Man wusste bei dem Ausmaß auch noch nicht, wie sich was wohin entwickeln würde. Ich weiß nicht, wie es mir gegangen wäre, wenn ich zu diesem Zeitpunkt gewusst hätte, dass ich fürs Erste fast zwei Jahre und dann noch einmal ein dreiviertel Jahr im Reha-Zentrum verbringen werde. Auf der Allgemeinen Unfallstation drehten wir dann auch noch einen zweiten Teil des Lehr-Videos zum Thema Grundpflege.
Inzwischen hatte sich im Roten Kreuz, meinem damaligen „Bekannten- & Freundeskreis“ und in den GESPAG-Krankenhäusern, in denen ich gearbeitet hatte, herumgesprochen, was mit mir passiert ist. Und … da erlebte ich auch den ersten richtigen Dämpfer. Es war nur eine Handvoll Leute die mich besucht haben. Aber was viel schlimmer war, war, dass mir die Schwestern erzählt haben, dass sich zwar viele Besucher erkundigt haben, in welchem Zimmer ich liegen würde; aber dann vor der Zimmertüre wieder umgekehrt sind, ohne mich zu besuchen. Ich war hin- und hergerissen. Aus meiner Trauma-Arbeit war mir zwar die Problematik der eigenen Betroffenheit von Professionalisten bewusst, wenn sie das „Opfer“ persönlich kannten; aber es zerriss mein Herz, da ich mich in dieser Zeit aus verschiedensten Gründen nach Besuch sehnte!
Der nächste Hammer war: Ich lebte in Salzburg und kam in das Reha-Zentrum WEISSER HOF in Klosterneuburg! Für mich in der Situation am Ende der Welt! Aber … ich war ja nicht im Wunschkonzert sondern bei „so ist es“. Am meisten nervte mich, wenn die weißkittlerten Ärzte mir erklärten; dass das Leben wieder lebenswert würde! Geht´s no? Die konnten sich sicher in ihren schlimmsten Träumen nicht ausmalen, wie es ist, mit 44 Jahren plötzlich wieder Inkontinenz-(Windel-)hosen tragen zu müssen oder so einen absolut unerotischen suprabubischen Dauerkatheter mit einem riesigen Harnsackerl aus´m Bauch hängen zu haben! Dies führte zu manch heftigem Diskurs; vor allem, seitdem sie inzwischen erfahren hatten, dass sie es bei mir mit einem Psychiatrischen Diplompfleger zu tun hatten!
Im AUVA (siehe Anmerkung am Ende des Artikels)-Reha-Zentrum WEISSER HOF schöpfte ich das erste Mal eine gehörige Portion Zuversicht, als ich den beiden Aktivierungstherapeuten Irene und Martin begegnete, welche beide ebenfalls von einer Querschnittlähmung betroffen auch im Rollstuhl saßen. Was wir alle zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen konnten, war, dass mein zertrümmertes Schultergelenk uns ein ganzes Jahr aufhalten würde, bis ich schließlich dann doch eine Schulterprothese bekam. Leider brachte sie mir statt der versprochenen 10-15 Jahre nur 5 Jahre eine Erleichterung bzw. Vorteil. Auch wenn der Weiße Hof unter den Reha-Zentren als die Hard-CoreVersion „verschrien“ war, ich war froh, hier bei den Besten zu sein! Ich hab inzwischen ja alle AUVA-Reha-Zentren „getestet“! Den effektiv größten Nutzen und Fortschritte holt man sich wirklich in Klosterneuburg! Was mich hier am Schlimmsten belastete, war, dass ich jedes Mal, wenn ich zu einer OP in einem Allgemeinen Krankenhaus war, mit einem Dekubitus zurück kam! Ich konnte und wollte diese Pflegefehler vor allem als selber unterrichtender Pfleger an diversen Krankenpflegeschulen einfach nicht verstehen.
Was mir den Boden unter meinen Rollstuhlrädern jedoch wirklich wegzog, war, dass ich 12 Monate nach meinem Unfall in die Invaliditätspension geschickt wurde. Ich musste zwar irgendwie eh damit rechnen; aber die Aussage meiner zuständigen Sozialarbeiterin vom Weißen Hof – Alle wollen in Pension; nur sie wollen unbedingt wieder arbeiten. – tat ich immer nur als lästige Phrase ab. OK, im Nachhinein war es gut so; denn von den neuneinhalb Jahren seit meinem Unfall verbrachte ich durch 30 Operationen fünfeinhalb Jahre in Krankenhäusern und den AUVA Reha-Zentren. Damals war es für mich einfach nur unfair und ungerecht. Was mir aber jedoch sehr viel geholfen hat, dass man mir immer wieder so genannte „Problem-Patienten“ ins Zimmer legte (Du bist eh a Psychiatrischer Pfleger, für Dich ist das kein Problem, oder?). Dadurch, dass ich versuchte, auch ihnen einen positiven Fokus zu vermitteln, therapierte ich mich bis zu einem sen Grad selber und lernte selber auch noch viel besser mit meiner Situation umzugehen. Gerade was ich in der langen Zeit der Erst-Reha so in den verschiedensten Facetten erlebte, bestärkte mich aber auch, dass ich mit meinen vielen Ausbildungen und meiner eigenen Erfahrung als Betroffener in Zukunft in dieser Richtung irgendwie aktiv einbringe.
In den vielen Stunden, welche ich zur Entlastung liegen musste, reiften so einige Projekte in meinen Gedanken. Nachdem ich mich nach meinem Abschluss bzw. meiner Entlassung aus der Erst-Reha Bereich ein Jahr vergeblich bemüht habe, trotzdem irgendwie wieder, zumindest Teilzeit, in der Christian-DopplerKlinik zu arbeiten, brachte mich meine damalige Physiotherapeutin auf die Idee, mit ihr gemeinsam das erste Österreichische KompetenzZentrum für Querschnittbetroffene außerhalb der Reha-Zentren in Salzburg Aigen zu eröffnen! Bereits hier waren auch die PartnerIn und pflegenden Angehörige ein wichtiger Teil meines Angebotes. Aber leider wurde nur das Angebot der Physiotherapie angenommen.
Mit der Eröffnung des Kompetenz-Zentrums Querschnitt war ich 4 Jahre nach meinem Unfall jedoch wieder in MEINEM Leben zurück. Ich machte die Ausbildung zum Diplomierten Sexualpädagogen mit meinem persönlichen Schwerpunkt für Menschen mit Behinderung und kehrte mit Ende 2011 wieder zurück nach Linz. In Linz mussten mir inzwischen mein rechtes Gesäß und mein linkes Hüftgelenk auf Grund von Infekten durch zwei Dekubiti (Mehrzahl Dekubitalgeschwür) entfernt werden! Daher darf ich nur noch dreieinhalb Stunden im Rollstuhl sitzen und muss dann vier Stunden liegen, um neuerdings dreieinhalb Stunden im Rollstuhl sitzen zu dürfen. Trotzdem startete ich allen Unkenrufen zum Trotz mit dem NETZWERK QUERSCHNITT mein nächstes Projekt. Und DAS … inzwischen sehr erfolgreich und über Österreichs Grenzen hinaus.
Auch wenn es mich damals sehr gekränkt hat, dass mir die Rückkehr in die Universitätsklinik Christian Doppler verwehrt wurde, inzwischen bin ich darüber sehr froh. Ich kann mit den hilfe- und ratsuchenden Klienten so arbeiten, wie es ihnen und mir gut tut und bin nicht durch das Regulativ innerhalb eines Krankenhauses behindert. Im Großen und Ganzen habe ich mir wieder ein erfülltes und erfolgreiches Leben zurück erarbeitet. Die zwei Internationalen Auszeichnungen und zuletzt der Gesundheitspreis der Stadt Linz für meine Arbeit sind das Sahnehäubchen für die Bestätigung meiner erfolgreichen Bewältigung meines Traumas und seiner Folgen vom Oktober 2005. Ich sehe es nicht als Schicksalsschlag (ich mag den Begriff einfach nicht), sondern es war einfach meine Bestimmung, meine Kompetenzen und Wissen in einem anderen Bereich einzubringen. Neben einem starken Gottvertrauen waren sicher die vielen zusätzlichen Ausbildungen, welche ich in meiner Zeit als Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger in der Psychiatrie/Neurologie und meiner Aufbau-Arbeit im KrisenInterventionsTeam des Roten Kreuz absolvierte, eine große Hilfe, so gut und schnell mit dem Unfalltrauma umzugehen beziehungsweise es zu bewältigen und verarbeiten.
Ich möchte mit einem „geflügelten“ Satz aus meiner Erst-Reha-Zeit schließen: Wir sind hier nicht in Bad Schallerbach; hier ist das reale Leben! Was ist damit gemeint? Es ist nicht hilfreich, die Hände in den Schoß zu legen und sich in Österreichs Parade-Disziplin (dem Jammern, Lamentieren und Sudern, wie arm man ist und schlecht, ungerecht und unvollkommen die restliche Welt zu einem ist) hinzugeben und zu verfallen; sondern AKTIV sein eigenes Glück und die Zukunft SELBER zu bestimmen und in die eigene Hand zu nehmen! Anmerkung: Wenn man in Österreich als Arbeiter oder Angestellter beschäftigt ist, ist man neben der Krankenkasse automatisch bei der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) bei/für Arbeitsunfälle versichert. Die AUVA hat in Österreich drei Sonder-Reha-Zentren in der Nähe von Kufstein, Klosterneuburg bei Wien und in der Nähe von Graz für Personen nach einem Arbeitsunfall.
Richard J. Schaefer