„Zu Weihnachten 1988 bekam ich ein Geschenk von meinen Großeltern, die Bücher meiner Großmutter, ihr Werk, elf Bände lagen unter dem Weihnachtsbaum… Ich war damals 16 und von dem Geschenk nicht gerade begeistert. Eine Madonna-Platte hätte mir besser gefallen.“
So beginnen Jana Simons Aufzeichnungen über die Gespräche mit ihren Großeltern Christa und Gerhard Wolf. Sie führte sie – mit großen Unterbrechungen – ab 1998. Das letzte Gespräch fand 2012 statt, allein mit dem Großvater, denn Christa Wolf war 2011 gestorben.
Es geht in diesen Aufzeichnungen um die Herkunft und die Familie, um die Zeit des Nationalsozialismus und die DDR, um das gemeinsame Glück und Unglück im neuen vereinten Deutschland – aber auch immer wieder um die Gegenwart. Weiterhin geht es um das politische Engagement des Schriftstellerpaars, die Kämpfe der Großeltern, die in ihrer Intensität und Radikalität von der Enkelin manchmal nur schwer zu begreifen sind. Es geht aber auch viel um Freundschaften und Verrat und: um die mehr als sechzig Jahre andauernde Liebe des Ehepaars Wolf. Und es geht natürlich um das Schreiben und die Bücher der großen Schriftstellerin. Zu Beginn der Gespräche, 1998, sagt die frisch gebackene 25jährige Journalistin Jana Simon: „Ich weiß gar nicht viel über euch, über eure Vergangenheit.“ Und Christa Wolf antwortet, fast patzig: „Dann lies einfach „Kindheitsmuster!“ (Das war das Buch, mit dem sie berühmt wurde – C.H.)
Im Laufe der Jahre öffnen sich die Großeltern gegenüber ihrer Enkelin aber immer mehr, die Gespräche werden intimer. So erfahren wir teilweise Dinge, die so bisher wohl noch nicht bekannt waren, z.B. von dem ersten Zusammentreffen des späteren Paares in der Mensa der Uni Jena oder von den vielen Sommerabenden mit Freunden in ihrem Sommerhaus in Mecklenburg-Vorpommern. Auch dass Erich Honecker Christa Wolf während der„Biermann-Affaire“ 1976 fast anflehte, in der DDR zu bleiben, erfahren wir. Natürlich ist auch diese Biermann-Ausbürgerung durch die DDR-Behörden Thema der Interviews: Damals waren Christa Wolf und andere Schriftstellerinnen und Schriftsteller so geschockt darüber, dass sie in ihrer Not und Wut einen offenen Brief bzw. eine Protestnote in den westdeutschen Medien veröffentlichten, was sonst nicht ihre Art war. (Dass die DDR-Medien das nicht tun würden, war eh klar.) Was für ein Erdbeben diese Geschehnisse damals auslösten, können wir uns im Westen nur schwer vorstellen. Umso betroffener machte es Christa Wolf, dass sie von einem Teil der westdeutschen Kritiker - allen voran Marcel Reich-Ranicki 1987 - als „Staatsdichterin“ bezeichnet wurde. Ein spannendes, oftmals auch humorvolles Buch für alle Literaturinteressierten, aber auch für alle, die sich für die deutsch-deutsche Geschichte interessieren und schließlich: für alle Enkel und Großeltern! Denn natürlich zeigt sich auch in diesen Gesprächen, nein, kein Generationenkonflikt, eher ein Staunen über das, was die jeweils andere Generation denkt und tut. Kostprobe: „Unvergessliche Momente: der Blick meines Großvaters, als er entdeckte, dass eine meiner Freundinnen in Michael-Jackson-Bettwäsche schlief.“ Sehr nützlich ist der umfangreiche Anhang, in dem Hintergrundinformationen zu den in den Gesprächen erwähnten Ereignissen und Personen gegeben werden.
Simon, Jana: Sei dennoch unverzagt. Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf.
Ullstein-Verlag 2013, 288 S., 19.99 €. Auch als E-Book erhältlich.
Christiane Hauck