Wie in unserer letzten Ausgabe angekündigt, hier der Bericht über das Thema Partnerschaft und Sexualität am Beispiel der Stiftung Attl. Wie bereits erwähnt, gibt es in unserem schönen Bayern recht unterschiedliche Strömungen: Während die katholischen Bischöfe offenbar ängstlich zu verbergen suchen, was das heile Bild der Kirche trüben könnte, spricht man beispielsweise in der Stiftung Attl in Wasserburg am Inn ohne Vorbehalt, menschenfreundlich und gleichwohl auf der Basis christlicher Werte über Liebe, Sexualität, Partnerschaft und Missbrauch von Beziehungen.

Die Stiftung Attl ist eine Einrichtung für Menschen mit Behinderung. Dort legt man großen Wert darauf, den Menschen als ganzheitliches Wesen zu sehen.

In den vergangenen Jahrzehnten wurde Menschen mit Behinderung Sexualität in der Regel abgesprochen und es fand keine Aufklärung zu dieser Thematik statt. Meist herrschte die Meinung vor, man dürfe bloß „keine schlafenden Hunde“ wecken. Die Stiftung Attl nimmt sich seit Langem dieser Thematik an, entwickelte eine eigene Gesprächskultur, entwarf Konzepte des Umgangs mit Sexualität und traf präventive Maßnahmen zum Schutz vor sexuellen Übergriffen. Der offene Umgang soll dem Betreuungspersonal im Rahmen des Betreuungsauftrages Antworten geben, um handlungsfähig zu bleiben und den Bewohnern einen selbstverständlichen Umgang mit ihrer eigenen Sexualität zu ermöglichen.

Selbstständig. Selbstbestimmt. Selbstbewusst lautet das Motto, und weiter heißt es: „Die Stiftung Attl bietet Begleitung, Förderung und Pflege für Senioren und für Menschen mit Behinderung beiderlei Geschlechts in allen Altersgruppen und Lebensbereichen. Menschen mit Hilfebedarf ein möglichst selbstbestimmtes und erfülltes Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen und sie dabei zu begleiten, ist unsere wichtigste Aufgabe. Wir definieren unsere Einstellung zum Thema Partnerschaft und Sexualität auf Basis unserer christlichen Grundhaltung sowie der Persönlichkeitsrechte, UN-Behindertenkonvention und der Jugendschutzbestimmungen.“

So steht es im Attler Grundsatzpapier zu „Partnerschaft und Sexualität“. Und die dort angesprochenen Grundsätze sind umfassend: Sexualität ist ein Grundbedürfnis – Partnerschaft schließt sexuelle Beziehungen mit ein – Missbrauch nicht zulassen – Schutz vor sexueller Gewalt – Ehe und andere Formen des partnerschaftlichen Zusammenlebens ermöglichen – Homosexualität ist eine Variante von Sexualität – Verhütungsberatung – Selbstbefriedigung ist eine Form der Sexualität – die Nutzung pornographischer Materialien und Hilfsmittel sind im Rahmen der Privatsphäre erlaubt – Bordellbesuche sind möglich – der Besuch bei SexualassistentInnen ist außerhalb der Stiftung möglich. Hausbesuche sind aufgrund der rechtlichen Grundlage der Sperrbezirksverordnung derzeit nicht möglich (Gespräche mit der Regierung von Oberbayern zu diesem Thema sind geführt worden, so Frau Dumler, die mich über das Attler Konzept informiert hat). So fortschrittlich denkt und handelt man in der Stiftung Attl! Das Attler Grundsatzpapier, auch dies eine weitere dankenswerte Besonderheit, ist einfach und verständlich formuliert. Einige Auszüge daraus:

Für alle Menschen ist Sexualität wichtig.
Sie fühlt sich gut an.
Sie gibt uns Kraft.
Für alle Menschen ist es wichtig:
Sich als Mann oder als Frau fühlen
Den eigenen Körper fühlen
Sich selbst mögen
Und andere Menschen mögen.
Jeder Mensch soll sein Leben so leben können, wie er es will.
Dazu gehören auch Sexualität und Liebe.

Der Umgang mit dieser Thematik, die Broschüre und die Haltung derer, die sich mit diesen Themen und deren praktischer Umsetzung befassen, sind dicht am Menschen, einladend, ja liebevoll. Keine Vorurteile, keine Ideologie, sondern pragmatisch orientierte Menschlichkeit!
Wer sich weitere Informationen zu diesem Thema oder über die Stiftung Attl überhaupt beschaffen will, der findet sie im Internet auf einer übersichtlich gestalteten Homepage. Es gibt auch eine Broschüre mit dem Leitsatz: Das Anderssein der anderen als Bereicherung des eigenen Seins zu begreifen … darin liegt die Zukunft der Menschen (Rolf Niemann).

Und noch etwas Interessantes habe ich von Frau Dumler erfahren. In Attl veranstaltet man zwei sportliche Ereignisse, die beide im Juli stattfinden und über Bayern hinaus bekannt sind: die „Tour de Rolli“ und den „Attler Lauf“. Wer sich dafür interessiert, erfährt im Frühjahr mehr dazu auf der Homepage der Stiftung. Außerdem gibt es auf dem Gelände der Stiftung einen barrierefreien Rundweg, der für Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer gut zu bewältigen ist. Am Rande dieses Weges findet sich u. a. ein Naturschwimmteich mit Lifter, eine Kneippanlage auch für Rollstuhlfahrer, ein in die Landwirtschaft integrierter kleiner Zoo mit frei laufenden Tieren und die Attler Gärtnerei, wo man Obst, Gemüse und Eier kaufen kann. Einen Besuch in Attl kann man jederzeit, also auch schon im März, wärmstens empfehlen! Einkehren kann man anschließend in einer Wirtschaft, die einfache Speisen anbietet. Fährt oder geht man jedoch den Hang, auf dem die Stiftung liegt, hinunter, gelangt man zu einem bekannten Restaurant, viel besucht, mit guter Küche und zivilen Preisen, das Hanne Kamali Ihnen heute als ihr „Lokal des Monats“ vorstellt.

Ingrid Leitner