Neues vom Heiratsmarkt Ein Religionslehrer am Gymnasium hat einmal zu uns gesagt: „Nirgendwo wird so gelogen wie auf Beerdigungen und in Heiratsanzeigen.“ Machen wir die Probe aufs Exempel bei den Heiratsanzeigen. Am meisten geben dafür die Wochenendausgaben der Tageszeitungen her, denn am Wochenende haben potenzielle Kandidaten & Kandidatinnen Zeit zum Anzeigenstudium. Da ist zum Beispiel eine „sehr schöne Brasilianerin“, die sich wieder verlieben will: „33 J, 1,65 m, schwarzhaar., 1 Kind, intelligent, gefühlvoll, leidenschaftlich, treu, kinderlieb, niveauvoll, gebildet, romantisch, sehr attraktiv“. Gibt es so ein Wunderwesen überhaupt, sowohl intelligent als auch gefühlvoll, sowohl treu als auch leidenschaftlich, zudem noch gebildet und niveauvoll?

 

Bei so vielen guten Eigenschaften müsste die doch längst vergeben sein. Ginge es nicht etwas bescheidener? Oder hat sie hier und da ein wenig übertrieben? Mit Witzischkeit versucht es die „kreative junge Alte“, die einen „kreativen alten Jungen“ sucht. Antworten als „Flaschenpost an Rotkäppchens Großmutter unter den Sieben Brücken im FünfFröscheland“. Das scheint eher etwas für Wölfe mit großem Appetit zu sein. Und unter den Brücken? Ein zu hohes Risiko mit den Kandidaten, dass es diesen nie gelang, zu halten, was sie versprachen. Sie waren entweder reich, aber unattraktiv oder langweilig, oder sie waren attraktiv, hatten aber sonst nichts zu bieten. Überlassen wir also die Dirndlausfüllerin sich selbst bzw. dem Markt und schauen, was sonst noch im Angebot ist. Was findet sich eigentlich auf der anderen Seite? Auf eine Versorgerin aus ist offenbar der großzügige Mann, der inseriert: „Dein KiWu ist dringend. Ich sorge vom ersten Tag an für unser Kind. Du steigst weiter auf der Karriereleiter.“ Samenspender- und Hausmanngarantie in einem, toll. Stellt sich die Frage, ob sich eine Frau, die auf Karriere und Kind erpicht ist, wirklich auf so etwas einlassen soll. Lässt er sie mit dem Kind sitzen, ist es mit der Karriere nicht mehr so einfach – als Alleinerziehende. Eine „liebevolle Lebenspartnerschaft mit Niveau“ sucht ein Akademiker, schlank, NR, jugendliche Ausstrahlung (so weit das Selbstbild). Interessant ist, dass er ausdrücklich betont: „ohne Altlasten“. Ist es nicht apart, Kinder aus früheren Beziehungen oder Exehefrauen als „Altlasten“ anzusehen? „Natur- und tierlieb, aus Eheerfahrung kompromissfähig“ (also gibt es eine Ex, aber die ist inzwischen vielleicht anderweitig verheiratet oder unter der Erde). „Keine Angst“, schreibt er, „auf Sie wartet kein selbsternannter ‚Traummann‘“, wobei zu befürchten ist, dass er sich selbst als solchen sieht, denn als humorvoll, schlagfertig, mit Tiefgang, nicht kleinlich, hilfsbereit und einfühlsam sähen ihn seine Freunde, all das, was Frauen mögen (Humor, liest man, soll bei ihnen besonders hoch im Kurs stehen).

Wir sehen, wie schwierig es ist, sich anzupreisen und dabei die Wahrheit zu sagen. Nur allzu leicht kommt man ins Übertreiben oder Vertuschen. Ebenso schwierig ist es zweifellos, unter den Angepriesenen auszuwählen. Vermutlich hatte unser Religionslehrer recht. Die 1,90 m große, schlanke, verwitwete 56-Jährige aus dem Münchner Umland, die einen hübschen, schlanken, sympathischen Single bis 50, mind. 1,75 m groß, sucht, und der Mann mit starken Schultern zum Anlehnen, der seit mehr als 30 Jahren in München eine große Frau (ab 1,70 und ab 30 J) mit ausgeprägtem Selbstwert und emotionaler Intelligenz sucht, sollten sich mal treffen, vielleicht wird’s ja was.

Jürgen Walla