Das Gesetz zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf (Familienpflegezeitgesetz)
Es ist mittlerweile eine Binsenweisheit, dass Kind und Karriere nur schwer unter einen Hut zu bringen sind. Wer Kinder bekommt und aufzieht, ist entweder einer unglaublichen Doppelbelastung ausgesetzt, wenn sie oder er weiterhin ungeschmälert berufstätig bleibt. Oder aber es kommt zu Einbußen, wenn sie oder er dafür beruflich kürzer tritt. Dieses Dilemma hat auch der Gesetzgeber erkannt und ein Bündel von Maßnahmen geschaffen, mit dem Beruf und Kinder besser vereinbar werden sollen: das reicht vom Ausbau von Tageskrippen und Kindertagesstätten bis hin zur Schaffung der Elternzeit.
Ein naher Angehöriger wird pflegebedürftig – was nun?
In einer zunehmend alternden Gesellschaft wird aber auch die Pflege alter oder gebrechlicher Menschen innerhalb der Familie ein immer dringlicheres Thema: allein in Deutschland benötigen etwa 2,4 Millionen Menschen Pflege, die überwiegend zu Hause und dann mehrheitlich durch Angehörige erfolgt. Da verwundert es nicht, dass der Gesetzgeber hier Erleichterung geschaffen hat: Seit 1. Juli 2008 gilt das so genannte Pflegezeitgesetz. Danach kann sich ein Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 15 Arbeitnehmern zur Pflege eines nahen Angehörigen mit Pflegestufe I oder höher bis zu sechs Monate ganz oder teilweise freistellen lassen (Pflegezeit). Während dieser Zeit bekommt er zwar kein Gehalt, kann aber nicht gekündigt werden und darf nach Ende der Pflegezeit an seinen bisherigen Arbeitsplatz zurückkehren. Das Pflegezeitgesetz sieht außerdem die Möglichkeit vor, sich in akuten Fällen bis zu zehn Tage frei zu nehmen, um für einen nahen Angehörigen eine bedarfsgerechte Versorgung zu organisieren.
Bereits im Februar 2010 wurde darüber hinaus vom Familienministerium ein Familienpflegezeitgesetz vorgeschlagen, das für Angehörige eine Familienpflegezeit von bis zu zwei Jahren ermöglicht. Die genaue Ausgestaltung wurde zwischen den Beteiligten lange diskutiert. Schließlich wurde im Sommer 2011 ein Gesetzesentwurf im Bundestag beraten und im Oktober 2011 auch verabschiedet. Das Gesetz zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I vom 13.12.2011, 2564) trat nunmehr am 1. Januar 2012 in Kraft.
Was ist unter einer Familienpflegezeit nach dem neuen Gesetz zu verstehen?
Nach dem neuen Gesetz besteht die Möglichkeit, für die Dauer von maximal zwei Jahren eine so genannte Familienpflegezeit zu nehmen, das heißt die Arbeitszeit bei lediglich teilweisem Lohnverzicht zu verringern, um einen nahen, pflegebedürftigen Angehörigen zu Hause zu pflegen. Zu beachten ist dabei jedoch, dass mit dem neuen Gesetz kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Gewährung einer Pflegezeit eingeräumt wird. Spielt der Arbeitgeber nicht mit, so muss eine andere Alternative gefunden werden, wie beispielsweise eine befristete Teilzeitvereinbarung. Ist der Arbeitgeber aber einverstanden, so funktioniert die Familienpflegezeit folgendermaßen: Während eines zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer festzulegenden Zeitraums von höchstens zwei Jahren wird die Arbeitszeit auf bis zu 15 Stunden pro Woche reduziert. Im Gegenzug verzichtet der Arbeitnehmer nur auf einen Teil des vollen Lohns, erhält den anderen Teil also als eine Art Lohnvorschuss. Verringert ein Arbeitnehmer also beispielsweise seine Arbeitszeit um 40 Prozent, bekommt er weiterhin 80 Prozent seines ursprünglichen Lohns. Nach Ablauf der Pflegezeit – in der so genannten Nachpflegephase – arbeitet er dagegen wieder voll, erhält aber nur 80 Prozent des vollen Lohns bis der vorher gewährte Lohnvorschuss aufgebraucht ist. Die Details sind in einer eigenen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer niederzulegen.
Dieses Modell ist natürlich mit gewissen Risiken für den Arbeitgeber verbunden. Immerhin muss er mit unter Umständen erheblichen Zahlungen in Vorleistung gehen und ob er diese während der Nachpflegephase dann auch zurückbekommt, ist unsicher. Deshalb hat sich der Gesetzgeber zweierlei einfallen lassen: Zum einen kann der Arbeitgeber beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben ein zinsloses Darlehen im Umfang der vereinbarten Aufstockung des Arbeitsentgelts beantragen (§ 3 Absatz 1 des Familienpflegezeitgesetz), zum anderen sieht das Gesetz zwingend den Abschluss einer Familienpflegezeitversicherung (§ 4 Familienpflegezeitgesetz) vor, die gegen Tod oder Berufsunfähigkeit des die Pflegezeit in Anspruch nehmenden Arbeitnehmers absichert.
Kritik der Wohlfahrts- und Familienverbände
Das Familienpflegezeitgesetz in seiner jetzigen Form stößt indes nicht auf uneingeschränkte Zustimmung der Wohlfahrts- und Familienverbände. So bemängelte das Zukunftsforum Familie e.V. am seinerzeitigen, mit der jetzigen Fassung übereinstimmenden Gesetzentwurf insbesondere das Fehlen eines Rechtsanspruchs auf Inanspruchnahme einer Familienpflegezeit als gravierende Schwäche, zumal Vereinbarungen wie die im Gesetz skizzierte bereits vorher möglich waren. Zudem sieht es die finanziellen Belastungen einseitig auf die Arbeitnehmer verteilt und die neue Regelung als „Rundum-Sorglos-Paket“ für Arbeitgeber, da die Beiträge der Familienpflegezeitversicherung ohne weiteres auf den Arbeitnehmer abgewälzt werden können und damit vor allem für ihn ein finanzielles Risiko bergen, obwohl dem Arbeitgeber bei Inanspruchnahme von Familienpflegezeit auch Vorteile erwachsen Immerhin bleiben ihm Know-how und Kenntnisse seines Arbeitnehmers erhalten. Die Gewährung zinsloser Darlehen sei darüber hinaus nur dann berechtigt, wenn die Vorleistung des Arbeitgebers zu Liquiditätsengpässen führt, nicht aber ausnahmslos.
Schließlich wird die durch das Gesetz vorgenommene Beschränkung auf zwei Jahre als unflexibel und realitätsfern angesehen.
Es bleibt also abzuwarten, ob das Gesetz die vom Gesetzgeber gesetzten Erwartungen erfüllt und mehr Menschen, insbesondere auch Männer, sich aufgrund dessen bereit erklären, einen Angehörigen zu pflegen.
Wolfgang Vogl