paragrafLediglich etwa 10 % der Bevölkerung in Deutschland haben eine Patientenverfügung unterzeichnet. Dies mag für manch einen wenig verwunderlich sein, fehlte es bislang doch an einer eindeutigen Rechtsgrundlage, so dass keineswegs eindeutig sicher war, welche Bedeutung einer Patientenverfügung im konkreten Fall beigemessen würde. Eine ähnlich niedrige Prozentzahl lässt sich aber auch in Ländern beobachten, in denen die Patientenverfügung bereits eindeutig gesetzlich geregelt ist, wie etwa in Österreich. Der wahre Grund für diese „Zurückhaltung“ ist aber wohl auch weniger das Fehlen einer eindeutigen rechtlichen Regelung als die Notwendigkeit, sich mit so sensiblen und gerne verdrängten Themen auseinanderzusetzen wie dem Tod, dem eigenen Sterben und dem Weiterleben unter anderen, eventuell widrigen Umständen. Dies ist für viele Menschen aber genauso abschreckend wie die Errichtung eines Testaments.

Dennoch ist es zu begrüßen, dass der Gesetzgeber nach sechsjähriger Debatte nun die Patientenverfügung auf ein klares rechtliches Fundament gestellt hat. Dies geschah durch das leicht zu übersehende Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29. Juli 2009 (Bundesgesetzblatt 2009, Teil I, vom 31. Juli 2009), also einer Änderung bzw. Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuches. Inhaltlich wird die Patientenverfügung im Bereich des Betreuungsrechts angesiedelt – ein Rechtsgebiet, unter dem sich Laien üblicherweise wenig vorstellen können, das aber seit einiger Zeit die bis dahin geltenden Vorschriften des Vormundschaftsrechts abgelöst hat. Konkret wurden neben der Änderung bereits geltender Vorschriften in die bisher bestehende Regelung zwei neue Paragraphen eingefügt (§§ 1901 a, b BGB).

Die im Folgenden näher vorgestellte Regelung ist bereits seit 01. September 2009 in Kraft.

Wann ist eine Patientenverfügung zu berücksichtigen?

Das Vorliegen einer Patientenverfügung bedeutet natürlich nicht, dass die betreffende Person an diese dann in der Folgezeit gebunden wäre und Ärzte sie in jedem Fall zu berücksichtigen hätten – unabhängig vom Gesundheitszustand des Errichtenden. Solange man selbst entscheiden und seine Zustimmung zu einem Eingriff oder einer bestimmten Behandlungsmethode selbst mitteilen (oder verweigern) kann, zählt allein der aktuelle Wille in diesem Zeitpunkt. Niemand braucht also Angst zu haben, mit der Abfassung einer Patientenverfügung den Einfluss auf seine eigene Behandlung aus der Hand zu geben. Die Patientenverfügung betrifft nur die Fälle, in denen diese Einwilligungsfähigkeit nicht (mehr) vorliegt.

Wie sollte eine Patientenverfügung aussehen?

Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass eine Patientenverfügung schriftlich abgefasst wird. Forderungen nach einer notariellen Errichtung einer solchen Verfügung haben sich also nicht durchgesetzt. Dies hätte sich wegen der damit verbundenen Kosten und des notwendigen Gangs zum Notar vermutlich auch sehr kontraproduktiv ausgewirkt. Hat man nach Abfassung einer Patientenverfügung seine Meinung geändert, so kann man natürlich eine neue Verfügung abfassen oder die alte schriftlich widerrufen. Es reicht aber auch aus, wenn dies mündlich oder durch schlüssiges Verhalten geschieht.
Der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband e.V. schreibt hierzu in seiner Handreichung zum neuen Gesetz zur Regelung der Patientenverfügung und seiner Umsetzung vom 28.08.2009: „Ein Demenzkranker, der Lebensfreude und Genuss in der aktuellen Lebenssituation zeigt, bestätigt zumindest nicht die in der Patientenverfügung niedergelegten Willensäußerungen durch sein tatsächliches Verhalten. Hier ist in jedem Fall eine besondere Aufmerksamkeit und Achtsamkeit den gegenwärtigen Lebensäußerungen von Patientinnen und Patienten [gegenüber] an den Tag zu legen.“ Es ist also immer genau hinzusehen, ob eine einmal abgefasste Patientenverfügung noch gelten soll.
Weiterhin muss sich diese auf bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende Heilbehandlungen, ärztliche Untersuchungen oder Eingriffe beziehen wie etwa die (Nicht-) Einleitung künstlicher Ernährung in einem bestimmten Fall oder einer Organtransplantation (wohlgemerkt aber jeweils nur für den Fall, dass die betreffende Person ihren Willen nicht mehr selbst äußern kann). Allgemein gehaltene Formulierungen wie beispielsweise „Keine sinnlose Lebensverlängerung“ oder „Keine unnötige Quälerei“ genügen hingegen diesem Erfordernis nicht. Auch bestehen gewisse inhaltliche Grenzen: anders als in den Niederlanden oder in Belgien ist eine aktive Sterbehilfe in Deutschland nicht zulässig und kann daher auch nicht Inhalt einer Patientenverfügung sein.
Zulässig und sinnvoll kann es aber sein, in der Patientenverfügung Angehörige oder Freunde zu benennen, die gegebenenfalls bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens der nicht mehr einwilligungsfähigen Person einzubeziehen sind.
Aus allen diesen Gründen sollte man keinesfalls auf Vordrucke mit bereits ausformuliertem Inhalt oder Ankreuzmöglichkeiten zurückgreifen, sondern sich den Inhalt einer geplanten Patientenverfügung im Hinblick auf die eigene Situation sorgfältig überlegen und neben einem Gespräch mit Angehörigen und Freunden auch ärztliche und/oder erforderlichenfalls anwaltliche Beratung in Anspruch nehmen. Allerdings sieht der Gesetzgeber weder eine Beratungspflicht vor Abfas- sung der Patientenverfügung vor, noch kennt er einen Beratungsanspruch, der gegenüber der Krankenversicherung geltend gemacht werden könnte. Über die bereits genannten Stellen hinaus gibt es aber eine Reihe von Beratungsdiensten, deren Adressen bei den Hospizdiensten erhältlich sind. Schließlich sollte man eine einmal abgefasste Patientenverfügung nicht einfach „wegsperren“ und darauf vertrauen, dass sie eines fernen Tages schon hilfreich sein werde, sondern sie in regelmäßigen Abständen daraufhin überprüfen, ob die darin getroffenen Verfügungen noch dem aktuellen Willen entsprechen und ob nicht geänderte Umstände (z.B. der Fortschritt der Medizin) eine andere Verfügung angebracht erscheinen lassen.

Wer ist an die Patientenverfügung gebunden?

Eine einmal abgefasste Patientenverfügung bindet zunächst Ärzte, Pflegepersonal, Betreuer, Bevollmächtigte und Angehörige. Keiner darf seinen – vielleicht als richtiger empfundenen – Willen über den in der Patientenverfügung zum Ausdruck gebrachten stellen. Nach dem Willen des Gesetzgebers obliegt es in erster Linie dem Betreuer einer nicht einwilligungsfähigen Person, deren Willen festzustellen. Da aber eine Betreuung in einer Vielzahl der Fälle (noch) nicht angeordnet sein wird, kommt einem durch Vorsorgevollmacht gemäß § 1901 c BGB Bevollmächtigten erhebliche Bedeutung zu, da dieser von Gesetzes wegen dieselben Rechte hat wie ein Betreuer. Es ist daher dringend zu empfehlen, eine Patientenverfügung mit einer Vorsorgevollmacht zu verbinden. Auch bei Vorliegen einer Patientenverfügung kann aber eine Prüfung angebracht sein, ob der aktuelle Wille noch durch die einmal errichtete Patientenverfügung gedeckt ist oder ob nicht spätere, entgegenstehende Äußerungen oder Handlungen des Betroffenen auf einen inzwischen geänderten Willen schließen lassen.

Besteht eine Pflicht zur Abfassung einer Patientenverfügung?

Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes besteht weder eine Pflicht zur Errichtung einer Patientenverfügung, noch darf eine solche zur Voraussetzung für einen Vertragsschluss gemacht werden. Damit kann die Aufnahme in einem Pflege- oder Altenheim also nicht davon abhängig gemacht werden, dass vorher eine Patientenverfügung abgefasst wird. Fälle wie die der Amerikanerin Terri Schiavo oder der Italienerin Eluana Englaro, die beide im Wachkoma lagen und bei denen die Berechtigung einer Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen in der Öffentlichkeit jeweils mit geradezu unversöhnlicher Schärfe diskutiert wurde, zeigen sehr deutlich, dass eine Entscheidung über das Schicksal nicht einwilligungsfähiger Personen äußerst schwierig ist und es wohl auch zukünftig bleiben wird. Es ist jedoch zu hoffen, dass das jetzt eingeführte Instrumentarium den betroffenen Personen ein Höchstmaß an Selbstbestimmung und den übrigen Beteiligten, also Ärzten, Pflegekräften und Angehörigen, die zu wünschende Rechtssicherheit einräumen wird.

Wolfgang Vogl