Dass die Pflegesituation hierzulande optimal sei, mag zwar der Überzeugung und dem Wunschdenken Vieler entsprechen, dem Pflegealltag wird dies aber kaum gerecht. Auch wer die Berichterstattung von KOBINET nur flüchtig verfolgt hat, wird sich an den Fall des pflegebedürftigen jungen Mannes erinnern, der mangels Alternativen in einem Pflegeheim für Senioren untergebracht werden musste. Lesen Sie hier einen weiteren Erfahrungsbericht:
„Niemals hätte ich geglaubt, dass diese Geschichte in der heutigen Zeit in Deutschland passieren würde...
Unser Sohn Johannes (19) ist ein junger Mann, der schwerst mehrfachbehindert und blind ist. Aufgrund seiner Spastik und einer Verengung der Luftröhre kann es in bestimmten Stresssituationen bei ihm zu akuter Atemnot bis hin zum Atemstillstand kommen. Er muss dann reanimiert werden und braucht Sauerstoff.
Sein Zwillingsbruder ist auch körperbehindert und ist auf einen Rollstuhl angewiesen.
Seit 2001 ist mein Mann Christian (43) als Beratender Bauingenieur selbstständig und betreibt ein Ein-Mann-Ingenieur-Büro.
Da ich selbst seit 10 Jahren an einer fortschreitenden genetischen Erkrankung leide (Heredo-Ataxie), jetzt schon meist auf den Rollstuhl angewiesen bin, und auch meine Reaktion und das Gleichgewicht stark beeinträchtigt sind, kann ich meinen Mann bei der Pflege von Johannes kaum entlasten. Darum musste Johannes schon frühzeitig (seit 2002) ein Internat besuchen. Er war dann nur am Wochenende daheim und mein Mann konnte die Pflege gewährleisten. Von 2004 bis Januar dieses Jahres besuchte Johannes Wohnheim und Schule des Franziskuswerkes in Schönbrunn.
Da die Wohngruppe dort aber an die Schulzeit gebunden ist und Johannes im Sommer die tolle Heimgruppe hätte verlassen müssen, haben wir uns mit Johannes letztendlich für das SWW in München (Südbayerische Wohn- und Werkstätten für Blinde und Sehbehinderte gGmbH) entschieden, wo Johannes ein neues Zuhause finden sollte .
Da schon Anfang des Jahres ein Heimplatz frei war, man uns diesen freien Platz im Sommer allerdings nicht hätte garantieren können, bewirkten wir für Johannes die vorzeitige Schulbefreiung, damit einem vorzeitigen Umzug ins SWW nichts mehr im Wege stand.
Der geplante Umzug Anfang Januar musste dann allerdings etwas verschoben werden, da Johannes wieder wegen eines Atemstillstandes im Krankenhaus lag. Aber am 27.01. war es dann soweit, und er zog dort ein. Zwar hatte er sehr starke Eingewöhnungsschwierigkeiten und man sagte uns, dass er viel schreien und ständig Sauerstoff brauchen würde , aber wir alle hofften, dass sich dieser Zustand mit Liebe und Konsequenz aller Beteiligten bald bessern würde.
Um den Gruppenalltag zu entlasten, wurden wir nach kurzer Zeit darum gebeten, Johannes doch bitte jedes Wochenende nach Hause zu holen und nicht wie geplant – das heißt einmal im Monat. Dies bedeutete für uns kein freies Wochenende und für meinen selbstständigen Mann war dies ein großes zusätzliches Problem, da er auch sehr oft am Wochenende arbeiten muss. Wenn Johannes daheim ist, ist dies alles nicht möglich, weil er dann die gesamte Aufmerksamkeit braucht und einfordert. Auch stimmten wir zähneknirschend zu, als man uns bat, die „Übergabe“ von Johannes jeweils draußen vor dem Haus abzuwickeln.
Obwohl Johannes’ Gesundheitszustand und unsere gesamte Familiensituation im SWW bekannt war, teilte uns der Heimleiter am 18.03.09 mit, dass wir unseren Sohn am 20.03.(!) abholen sollten, weil man sich dort überfordert sah. Schluss, Aus, Ende!
Damit begann für uns ein übermenschlicher physischer und psychischer Kampf!
Außerdem war das für uns ja auch eine finanzielle Katastrophe. Mein Mann musste von heute auf morgen seine Projekte und Aufträge auf Eis legen und niemand von uns konnte sagen, wie lange dieser Zustand anhalten würde, wann wir für Johannes ein neues und schönes Zuhause finden würden und wann damit endlich auch der totale Verdienstausfall beendet wäre.
Ein Heim mit professionellen Fachkräften war mit Johannes überfordert, aber wir Eltern sollten halt alles neben geführten 1000 Telefonaten, Internetrecherchen und, und, und … nebenbei bewerkstelligen. Und das alles, obwohl unsere außergewöhnliche Familiensituation und die Selbständigkeit meines Mannes dem SWW bekannt waren!
Vom 20.03. an war Johannes daheim und mein Mann war rund um die Uhr für ihn da. Weder das SWW noch der Kostenträger des Heims (Bezirk Oberbayern) unterstützten uns, wenn man von zwei nett gemeinten Anrufen des Kostenträgers absieht, die auch erst durch Druck von höherer Stelle zustande kamen.
Ganz im Gegenteil: Aus dem SWW erkundigte sich bis heute niemand nach Johannes oder uns. Absolute Funkstille.
Und ein Sachbearbeiter des Kostenträgers versuchte tatsächlich, uns unter Druck zu setzen, indem wir aufgefordert wurden, doch endlich den Heimvertrag zu kündigen.
Und das alles, obwohl unser erwachsener Sohn ja einen Rechtsanspruch hat und das Heim und der Kostenträger verpflichtet gewesen wären, nach Alternativen zu suchen oder sich um ergänzende Maßnahmen zu kümmern. Zumindest jetzt wissen wir das.
Durch Zufall und absolutes Glück sind wir dann Mitte April auf eine WG in München für intensiv medizinisch betreute Patienten gestoßen, die über die 24-Stunden-Pflege finanziert wird und wo Johannes seit 01.05. ein großes Einzelzimmer bewohnt. Es gibt dort insgesamt nur 6 Plätze und er wird individuell betreut. Dort wird er mit all seinen Schwierigkeiten voll akzeptiert und angenommen und er fühlt sich dort jetzt schon sehr wohl.
Ich hoffe, dass jetzt wieder alles in normaleren Bahnen läuft, auch wenn sicherlich noch einige Zeit vergehen wird bis unsere tiefen Wunden verheilen werden.“
Unterhaching, den 02.06.´09
Uta Schulz
Lebenswertes Zuhause für jungen Mann – verzweifelt gesucht
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