KURZE GESCHICHTE DER ENTSTEHUNG DES ERSTEN
NIEDERFLURLINIENBUSSES FÜR DEN ÖPNV IN MÜNCHEN
Von 1987 bis 1996 war unter der Wagennummer „5410“ ein ganz besonderer Bus im Münchner Stadtverkehr im Einsatz: hinter dieser Nummer verbarg sich der „NEOPLAN-Gelenkbus“, der wie kein anderer einen Meilenstein des Omnibusbaus darstellt. Es handelte sich um den zweiten je gebauten Niederflur- Gelenkbus weltweit.
Dieses Fahrzeug ebnete dem modernen Niederflurbus, wie er heutzutage Standard ist, den Weg. Es begann eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen.
Am 14.01.1986 hatte alles angefangen:
Nachdem die Münchner Bürger mit Behinderungen jahrelang auf ihren Stadtrat eingewirkt hatten, beschloss dieser einstimmig: Bei der nächsten Busbeschaffung für den ÖPNV müssen fünf Linienbusse so gestaltet sein, dass auch Menschen im Rollstuhl, die bisher ausgeschlossen waren, ohne Probleme befördert werden können. Denn beim damaligen Busangebot des ÖPNV mit Busbodenhöhe von 800 bis zu 1100 mm waren nicht nur schwerst Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer von der Benutzung ausgeschlossen,
die enorme Einstiegshöhe behinderte auch den Großteil der anderen Fahrgäste – viele ältere Menschen, die Frauen mit Kinderwägen, die Kinder, Menschen mit Gehbehinderung und viele andere – und verhinderte generell einen komfortablen und schnellen Fahrgastwechsel.
Am 13.03.1986 unternahmen eine Münchner Stadtratsdelegation mit Mitgliedern
aus allen Fraktionen, eine Abordnung der Stadtwerke München – Verkehrsbetriebe (seit 2002 Münchner Verkehrs GmbH (MVG)) und ein Vertreter der Münchner Bürger mit Behinderungen, eine Informationsfahrt nach Heidelberg und Stuttgart.
Dort überzeugte die Besichtigung der Hochflurbusse mit Lift im vorderen
Einstiegsbereich alle Teilnehmer davon, dass mit Linienbussen dieser Art das Problem des ÖPNV für die Menschen mit Behinderungen nicht gelöst werden kann.
Dieter Richthammer (CBF e.V. München), der Vertreter der Bürger mit Behinderungen, schlug den umgekehrten Lösungsweg vor: Es sollte die gesamte Busbodenhöhe für alle Fahrgäste tiefer gelegt werden, damit man nicht die Menschen im Rollstuhl oder mit anderen Behinderungen nach oben bewegen muss.
Am Ende der Infofahrt war Heinz Halder, technischer Direktor der Stadtwerke München – Verkehrsbetriebe (verstorben 1991), davon überzeugt, die richtige Problemlösung
kann nur ein Niederflurlinienbus sein. Die Stadträte, stellvertretend seien genannt, Inge Hügenell, Maria Nindl (SPD), Ingeburg Milenovic, Elisabeth Schosser (CSU) und Gerd Wolter (Die Grünen) schlossen sich dem an.
Dieter Richthammer (CBF e.V. München), Vertreter der Bürger mit Behinderungen, konnte sich dem ebenfalls anschließen, wenn noch wichtige Ausführungen und Ausstattungen wie Busbodenhöhe, eine zusätzliche Einsteighilfe, Kontrast-, Bedienelement- und Platzgestaltung sinnvoll festgelegt würden.
Im Mai 1986: Heinz Halder verfasste ein „Lastenheft“ für einen ÖPNV-Niederflurliniengelenkbus, es beinhaltete unter anderem: Fußboden an erster und zweiter Tür stufenlos erreichbar und nicht höher als 340 mm, Durchgang zwischen der Vorderachse mindestens 860 mm breit, Rollstuhlhublift an der ersten Tür, Motor mit Rußfilterausstattung. Zu der damaligen Zeit ein geradezu revolutionäres Konzept. Eine Anfrage mit diesen Vorgaben ging nun an alle namhaften deutschen Bushersteller; doch nur NEOPLAN, bekannt für innovative und richtungweisende Konstruktionen, hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt und zugesagt, einen solchen Bus nach den Wünschen des Münchner Kunden zu bauen.
Im April 1987 war es so weit: Der erste Niederflur-Gelenkbus der Welt wurde in München einem staunenden Fachpublikum, der Presse, den Behindertenverbänden,
verschiedenen Umweltschutzgruppen, dem Münchner Stadtrat und natürlich allen Münchner Bürgern präsentiert. Konrad Auwärter, damaliger NEOPLAN-Geschäftsführer, und seine Mitarbeiter hatten dieses technisch einmalige Fahrzeug auf die Räder gestellt. Hierbei musste eine Vielzahl schwerwiegender technischer Probleme gelöst werden,
denn aufgrund des niedrigen Fahrzeugbodens ist der Platz für Aggregate, Druckluftanlage usw. natürlich äußerst begrenzt. Fast schon abenteuerlich war beispielweise der Einbau des voluminösen V8-Deutz-Motors in eine in den Fahrgastraum hineinragende Motorumbauung im Fahrzeugheck. MAN- sowie Mercedes- Motoren, die als Reihensechszylinder wesentlich platzsparender gewesen wären, waren zu dieser Zeit für andere Bushersteller mit nur sehr langen Lieferfristen zu beziehen.
Der Bus ging am 16. Mai 1987 erstmals auf der Linie 52 in den Linienbetrieb, wo die Praxistauglichkeit getestet wurde und Mängel aufgezeigt werden konnten. Er wurde allerdings nur wenige Monate alt. Bei dem verheerenden Großbrand im Betriebshof Ost in der Nacht vom 6. auf den 7. September 1987 brannte dieser Bus – neben 20 herkömmlichen weiteren Gelenkbussen - völlig aus und das zukunftweisende Nahverkehrsprojekt schien damit begraben. Aber es war bei NEOPLAN inzwischen schon der zweite völlig baugleiche Bus dieser Bauart fertiggestellt worden, er war für die im September 1987 in Frankfurt stattfindende IAA vorgesehen. Dieser Bus kam nach der IAA als Ersatzfahrzeug nach München, wo er die Wagennummer 5410 erhielt und zunächst ebenfalls auf der Linie 52 eingesetzt wurde. Von nun an war der Siegeszug
des Niederflurbusses nicht mehr aufzuhalten. Auch andere Hersteller sahen inzwischen die Notwendigkeit, derartige Fahrzeuge zu entwickeln und zu bauen, denn das Interesse und die Nachfrage nach dem Niederflurbus waren enorm. Die menschenfreundliche Bauart hat sich in ganz kurzer Zeit weltweit durchgesetzt. In allen Kontinenten ist der Niederflurlinienbus
mit Kneeling und einer zusätzlichen Einsteighilfe für Menschen im Rollstuhl mittlerweile das Normale und im ÖPNV Standard.
In München folgten bald die Niederflurstraßenbahn und die Aufzüge für U- und S- Bahn und damit war die Gleichstellung für die Menschen mit Behinderungen im ÖPVN eingeleitet.
Diese Einführung des Niederflurlinienbusses und der damit verbundene Beginn der Gleichstellung für Fahrgäste mit Behinderungen im ÖPNV werden 2006 20 Jahre alt, ein erinnerungswürdiges Jubiläum!
Der „Urvater 5410“ wurde ab 1988 meist auf der Linie 33 eingesetzt, bis er 1996 ausgemustert wurde. Dankenswerterweise entschlossen sich die Stadtwerke – Verkehrsbetriebe München, den Bus aufgrund seines enormen historischen Wertes dem Omnibus-Club München e.V. als Museumsbus zu überlassen. Und auch die Herstellerfirma unter Geschäftsführer Konrad Auwärter wurde ohne zu zögern tätig: kostenlos wurde der Bus von der Firma komplett restauriert und steht nun als Museumsstück und für Präsentationen zur Verfügung. Selbstverständlich ist der Bus weiterhin fahrbereit.
Es gibt eine Anfrage des Deutschen Museums: Dort möchte man den „Urvater 5410“ gerne in der Verkehrsabteilung ausstellen.