- Triagegesetz verabschiedet -

Der Bundestag hat eine Regelung im Infektionsschutzgesetz beschlossen, die die Verteilung zu knapper intensivmedizinischer Ressourcen im Pandemiefall regeln soll. Diese neue Regelung wird als Triage-Gesetz bezeichnet. Notwendig wurde sie, weil das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber dazu verpflichtet hat, Vorkehrungen zum Schutz von Menschen mit Behinderung bei Triage-Entscheidungen in Pandemie-Situationen zu treffen.



Worum geht es? Der Begriff Triage kommt aus dem Französischen und bedeutet „Auswahl“ oder „Sichtung“. Er bezeichnet in der Medizin die erste Einordnung von Patienten in Kategorien, die die Schwere ihrer Erkrankung bestimmen. Aufgrund dieser Kriterien entscheiden Ärzte und Pfleger, wie dringlich eine Behandlung erfolgen muss und in welcher Reihenfolge Patienten behandelt werden sollen. Triage findet in der Notfallmedizin immer schon statt, bislang entschieden die Ärzte und Ärztinnen bzw. das Pflegepersonal. Die Pandemie mit den Engpässen im Gesundheitswesen erforderte eine gesetzliche Regelung, Betroffene hatten vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt, weil sie befürchteten, dass behinderte Menschen nach dem bisherigen Verfahren benachteiligt würden.

Nach der neuen gesetzlichen Regelung ist alleiniges Kriterium für die Entscheidung, wer freie Behandlungsplätze erhalten soll, wenn zu wenige davon zur Verfügung stehen, „die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit.“ Mit diesem alleinigen Kriterium soll vermieden werden, das Patienten wegen einer Behinderung, dem Grad ihrer Gebrechlichkeit, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung benachteiligt werden.

Geregelt werden außerdem Einzelheiten zum Verfahren der Zuteilung, z. B. das Vier-Augen-Prinzip (dass also nicht eine Person allein entscheidet), Meldepflichten und eine Evaluierung. Bundesminister Lauterbach hat gesagt, das Gesetz stelle sicher, dass Vorerkrankungen und Behinderung keine Rolle spielten, wenn Intensivbetten in einer erneuten Pandemie knapp würden. Martina Stamm-Fibich, die Patientenbeauftragte, der SPD-Fraktion bezeichnete das Gesetz als „die beste Lösung für ein Dilemma, das niemals zur Zufriedenheit aller aufgelöst werden kann.“

Kritik an dem Gesetz kam von der Opposition und bezog sich dabei auf Kritik, die vorher schon von Behinderten und Menschenrechtsaktivisten geäußert wurde: Behindertenselbstvertretungen wie auch Mediziner*Innen seien am Gesetzgebungsverfahren nicht ausreichend beteiligt worden. Von ärztlicher Seite wird insbesondere bemängelt, dass eine sogenannte Ex-Post-Triage ausgeschlossen wird, das heißt, eine laufende Behandlung darf nicht zugunsten eines Patienten mit besseren Überlebenschancen abgebrochen werden. Dadurch könnten sich Ärzte unter Druck gesetzt fühlen, eine Behandlung länger als notwendig fortzusetzen. Auch sei die Vorgabe impraktikabel, dass je nach Schwere der Erkrankung bis zu drei Ärzte an der Entscheidung zu beteiligen seien.

Die Einschränkung auf eine Pandemie-Situation, ohne Terroranschläge, Krieg oder Naturkatastrophen zu berücksichtigen, wird als unzureichend empfunden.

Inwiefern die Orientierung auf die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit tatsächlich eine Diskriminierung behinderter Menschen ausschließen kann, ist durchaus nicht ausgemacht. Behinderten- und Menschenrechtsaktivisten sehen in der jetzt beschlossenen Regelung einen Verstoß gegen die Menschenwürde und den Verfassungsgrundsatz, dass ein Leben nicht mehr wert sei als ein anderes. 

Auch eine Entscheidung nach dem Losverfahren wurde in die Debatte eingebracht. Wenn das Los oder der Zufall entscheidet, wer behandelt wird, ist eine Diskriminierung durch Beurteilende zweifellos ausgeschlossen. Aber die Triage würde damit vollends zum Glücksspiel – russisches Roulette.

Dass erneut das Bundesverfassungsgericht eingeschaltet wird, erscheint als wahrscheinlich. 

Jürgen Walla