Das Netzwerk von und für Frauen und Mädchen mit Behinderung in Bayern (kurz: die „Netzwerkfrauen-Bayern“, www.netzwerkfrauen-bayern.de) und der Facharbeitskreis „Frauen“ des Behindertenbeirats der Landeshauptstadt München (www.behindertenbeirat-muenchen.de) wollen über den Stand in Sachen gynäkologische Sprechstunde für Frauen mit Mobilitätseinschränkungen in München und Bayern informieren.
Seit der Einrichtung der Geschäftsstelle der Netzwerkfrauen-Bayern im Jahr 2000 kommen in diesem offenen Zusammenschluss Frauen und Mädchen mit den verschiedensten Arten von Behinderungen aus dem gesamten Freistaat zusammen, um sich über ihre Bedürfnisse und Bedarfe auszutauschen und gemeinsam ihre Lebenswirklichkeit zu verbessern und sich für mehr Selbstbestimmung einzusetzen.
Von Anfang an war ein wichtiges Thema die gynäkologische Versorgung.
Die Frauen, damals meist Rollstuhlfahrerinnen, berichteten von den Schwierigkeiten, eine für sie passende Praxis zu finden. Oft war die erste unüberwindbare Hürde die barrierefreie Erreichbarkeit und Zugänglichkeit der Praxen. Diese beginnt nicht etwa erst an der Eingangstür der Praxis, sondern an der Haustür der Patientinnen.
Theoretisch haben Rollstuhlfahrerinnen die Möglichkeit, für Arztbesuche beispielsweise Fahrdienste oder Rollstuhlfahrertaxis zu nutzen. Diese sind, so vorhanden, aber aufgrund der hohen Auslastung meist lange Zeit im Vorfeld zu buchen und bieten so bei erforderlichen Terminverschiebungen oft nicht die nötige Flexibilität.
Dies macht gut erreichbare, barrierefreie öffentliche Verkehrsmittel umso wichtiger, damit die Frauen bei Bedarf auch spontan und vor allem möglichst unabhängig Termine wahrnehmen können.
Hatten es die Frauen bis ins Behandlungszimmer geschafft, so war dieses meist nicht groß genug, um mit großen Elektro-Rollstühlen zu rangieren und auch noch Platz für die behandelnde Gynäkolog*in sowie weiteres medizinisches Personal und mitgebrachte Pflege- oder Assistenzkräfte zu bieten. Der Transfer auf den gynäkologischen Stuhl war somit oft schwierig bis unmöglich. Und selbst wenn dieser gelang, war fraglich, ob die Frauen denn in diesem sitzen und untersucht werden konnten.
Dieses Problem betrifft nicht nur Bayern. Auch in anderen Bundesländern sind Frauen und Mädchen mit Behinderungen gynäkologisch unterversorgt, wie etwa der Abschlussbericht der Universität Bielefeld „Evaluation von Spezialambulanzen und gynäkologischen Sprechstundenangeboten zur gynäkologischen und geburtshilflichen Versorgung von Frauen mit Behinderung“ aus dem Jahr 2019 belegt.
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Praevention/Berichte/Abschlussbericht_E-GYN-FMB.pdf
Dabei geht es beim Frauenarztbesuch nicht „nur“ um Familienplanung und damit für die Netzwerkfrauen-Bayern um das Recht von Frauen mit Behinderungen, sich für (oder gegen) die Mutterrolle zu entscheiden.
Es geht auch um unverzichtbare medizinische Vorsorgeuntersuchungen. Ein wichtiger Faktor in Sachen Barrierefreiheit ist für Menschen mit Behinderungen die Zeit, die sich ihr Arzt oder ihre Ärztin für sie nehmen kann. Bei einem regulären Frauenarztbesuch werden in etwa 10 Minuten veranschlagt, welche die Ärzte mit den Kassen abrechnen können.
Für Frauen mit Körperbehinderungen reicht diese Zeit oft nicht einmal dafür aus, um mit der Untersuchung beginnen zu können. Beispielsweise müssen Patientinnen mit einer Spastik sich erst einmal soweit entspannen können, dass eine Untersuchung überhaupt möglich ist. Entspannung ist aber unter extremem Zeitdruck nicht möglich. Hinzu kommt, dass sowohl das An- als auch das Auskleiden Zeit benötigt, unabhängig davon, ob die Patientin auf Assistenz angewiesen ist oder nicht.
Die gesammelten Argumente brachten die Frauen bei Fachtagungen und Treffen mit verschiedensten Akteuren vor. Gemeinsam entwickelten sie ein Modellprojekt, wie eine gynäkologische Spezialambulanz für die Zielgruppe aussehen könnte und welche Anforderungen sie erfüllen muss.
Im November 2007 wurde dann in Dachau die erste Spezialambulanz dieser Art in Bayern eröffnet. 2009 folgte, auf Initiative der Netzwerkfrauen und des Zentrums für Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V., eine weitere Spezialambulanz in Erlangen, also im Norden Bayerns.
Dunja Robin, Leiterin der Geschäftsstelle der Netzwerkfrauen-Bayern, sagt hierzu: „Das waren für uns natürlich zwei riesengroße Erfolge, von denen viele Frauen profitierten. Aber von „flächendeckender Versorgung“ kann hier noch lange keine Rede sein! Unser Ziel ist selbstredend, dass Frauenarztpraxen in Bayern per se barrierefrei sind, dass Frauen mit Behinderungen eine ähnlich freie Auswahl haben, wo sie sich untersuchen, beraten und behandeln lassen möchten, wie nichtbehinderte Frauen. Und dass sie, egal wo sie in Bayern leben, sämtliche Untersuchungen wie etwa auch die Krebsvorsorge, genauso in ihrem Umfeld wahrnehmen können. Bis dahin ist es aber noch ein sehr weiter und wohl auch steiniger Weg.“
Denn aktuell scheint es in dieser Hinsicht eher Rückschritte zu geben. Die Spezialambulanz in Dachau hat nach über einem Jahrzehnt ihr Angebot eingestellt.
Zwar bietet Frau Dr. Krumbacher, die die Spezialambulanz zuletzt geleitet hatte, auch in ihrer neuen Praxis in Markt Indersdorf ihre Sprechstunde auch für Frauen mit Behinderungen weiterhin an und hat ihre Räume entsprechend gestaltet.
Jedoch wird es immer schwieriger Arztfahrten von der Krankenkasse genehmigt zu bekommen. Beispielsweise wurde einer Patientin in Dachau zwar eine Hinfahrt mit einem Fahrdienst genehmigt, doch für die Rückfahrt musste sie dann eine Wartezeit von über 2 Stunden in Kauf nehmen, obwohl es ihr gesundheitlich schlecht ging.
Vor allem unter dem Gesichtspunkt der Erreichbarkeit hatten die Netzwerkfrauen auch schon immer München als wichtigen Sitz einer Spezialambulanz im Blick. Die nötige Infrastruktur ist in der Landeshauptstadt besser ausgebaut, als in den meisten anderen Gegenden Bayerns. Aufgrund dieser guten Infrastruktur leben dort auch besonders viele Menschen mit Behinderungen.
Mit einem Standort in München hätten besonders viele Frauen möglichst kurze Wege zu ihrer Gynäkologin oder ihrem Gynäkologen.
Aufgrund dieses hohen Bedarfs wird eine solche Sprechstunde bereits seit vielen Jahren auch vom Facharbeitskreis Frauen des Behindertenbeirats der Landeshauptstadt München, in dem sich regelmäßig Frauen mit Behinderungen und Vertreter*innen von Organisationen des Frauenunterstützungssystems treffen, gefordert.
Als im Sommer 2013 der erste Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention der Stadt München in Kraft trat, glaubten die Frauen ihrem Ziel näher gekommen zu sein.
Das Referat für Gesundheit und Umwelt wurde federführend mit der Umsetzung der gynäkologischen Ambulanz in München betraut.
Es wurden viele Veranstaltungen, Besprechungen und Verhandlungen abgehalten und mögliche Standorte wurden von Frauen mit Behinderungen besichtigt.
Es wurde ein Konzept erarbeitet, an dem Vertreterinnen und Vertreter des Behindertenbeirates, des Büros zur Umsetzung der UN-BRK, des Netzwerkes von und für Frauen und Mädchen mit Behinderung in Bayern, der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern, des Berufsverbandes der Gynäkologen und Gynäkologinnen und der München Klinik beteiligt waren. Das Vorhaben wurde und wird sowohl von verschiedenen Parteien als auch von der Kommission zur Gleichstellung von Frauen unterstützt und befürwortet.
2018 wurde der Beschlussvorlage „Schaffung einer gynäkologischen Sprechstunde für Mädchen und Frauen mit Mobilitätseinschränkungen in München“ vom Stadtrat zugestimmt.
Besonders erfreulich war bei diesem Beschluss, dass auch geprüft werden sollte, welche Bedarfe Frauen mit anderen Formen von Behinderungen haben und wie diesen entsprochen werden kann – ein Thema, das die Betroffenen immer wieder in die Gespräche mit einbrachten. Hierbei geht es etwa um Informationen in Leichter Sprache, um spezielle Schulungen für das Personal und dergleichen mehr.
Die Sprechstunde sollte dann 2019 endlich starten. Aber aufgrund ungeklärter rechtlicher Fragen und der Situation durch die Corona-Pandemie wurde alles auf Eis gelegt.
Anja Berger (Die Grünen/Rosa Liste) formulierte am 2. Juli 2020 folgende Pressemitteilung, mit dem Ziel, dass Verhandlungen wieder aufgenommen werden: https://www.gruene-fraktion-muenchen.de/armutszeugnis-fuer-die-landeshauptstadt-nach-wie-vor-keine-gynaekologische-sprechstunde-fuer-mobilitaetseingeschraenkte-frauen/
Auch eine Petition, eine private Initiative von Frau Biburger, verfolgt dieses Ziel: https://taten-bewegen.de/?fbclid=IwAR24jfDJxL5-blzL0Gkx7esbZuvkRKMSj8qUQ5Hveuu17PE80QX759PlyZQ
„Wir hoffen mit diesem Artikel weitere Unterstützer*innen auf bayerischer Ebene zu finden, damit dieser Versorgungsauftrag endlich umgesetzt wird und es für die Münchner Frauen und Mädchen mit Behinderungen ein adäquates Angebot gibt. Wir brauchen jede Unterstützung für dieses Vorhaben. Es darf nicht sein, dass die viele Vorarbeit so kurz vor dem Ziel umsonst gewesen ist. Es darf nicht sein, dass Frauen mit Behinderungen wieder nur, und für wer weiß wie lange, mit einer reinen Notfallversorgung in Krankenhäusern abgespeist werden und ihnen selbstverständliche Vorsorgeuntersuchungen versagt bleiben. Denn die Not der Frauen ist groß!“ so Frau Leirs und Frau Steinberg, die beiden Vorsitzenden des Facharbeitskreises Frauen im Behindertenbeirat der LH München.
Derzeit gibt es positive Signale aus dem Referat für Gesundheit und Umwelt, die uns hoffen lassen, dass es doch noch in diesem Jahr einen konkreten Lösungsvorschlag für München geben wird. Wir hoffen, dass diese vorgegebene Zeitschiene eingehalten werden kann. Der Facharbeitskreis Frauen und alle Unterstützer*innen werden den weiteren Verlauf aufmerksam verfolgen und konstruktiv begleiten.
Lieve Leirs und Dunja Robin
Hartes Ringen um gynäkologische Grundversorgung in Bayern
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