Im Rahmen meines Studiums der Sozialen Arbeit wählte ich das Seminar „Chronische Krankheit, Behinderung und Lebenswelt“, welches auch ein Praktikum beinhaltete. Auf der Suche nach einem Menschen, den ich einmal wöchentlich für ein paar Stunden besuchen könnte, um dessen Lebenswelt kennenzulernen, wendete ich mich an den CBF und erhielt von Frau Kremer die Kontaktdaten von Frau Hestermann. Schon bei unserer ersten Begegnung war sie mir sehr sympathisch und wir hatten viel Gesprächsstoff. Fortan freute ich mich auf unsere gemeinsame Zeit Mittwoch nachmittags und habe jeden meiner Besuche bei ihr sehr genossen. Frau Hestermann ist eine warmherzige, gebildete und humorvolle Frau und zudem sehr vielseitig interessiert. Ihre unglaubliche Begeisterung für Musik und ihr Interesse an aktuellen gesellschaftlichen und politischen Themen machen sie zu einer tollen Gesprächspartnerin. Meistens haben wir während meiner Besuche bei ihr „nur“ geredet, haben aber auch zusammen an ihrem Laptop gearbeitet oder kleine Ausflüge gemacht.
Über ihre Behinderung und ihre Einschränkungen im Alltag hat Frau Hestermann kaum je von sich aus gesprochen. Trotzdem wurde mir bei gemeinsamen Unternehmungen, wie z.B. bei einem Besuch des Christkindlmarktes, einem Spaziergang oder auch nur beim Einkaufen bewusst, wie sehr sie in ihrem Rollstuhl von der Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme ihrer Mitmenschen abhängig ist und wie viele Barrieren sich schon auf den kürzesten Wegen befinden können. Zu jeder Zeit habe ich Frau Hestermann abwartend und freundlich erlebt, auch in Situationen, die mich an ihrer Stelle wohl längst auf die Palme gebracht hätten. Ich war und bin tief beeindruckt von ihrer Ruhe und unerschütterlich scheinenden Gelassenheit und davon, dass sie sich, auch wenn sie sich mal kurz ärgert, schnell wieder schöneren Gedanken widmet. Gleichzeitig wurde mir aber auch bewusst, wie leicht ein Mensch, der nicht eine derart positive Grundeinstellung und ein von Haus aus fröhliches und ausgeglichenes Wesen hat, an den täglichen Barrieren und Unachtsamkeiten anderer verzweifeln oder verbittern kann.
Mein Praktikum liegt nun schon eine ganze Weile zurück, der Kontakt zu Frau Hestermann besteht, wenn auch leider nicht mehr so häufig, weiter. Momentan freue ich mich auf unseren gemeinsamen Opernbesuch im Dezember – für mich wird es der erste sein.
Tanja Dimitrijevic
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