Das neue Gesetz zur Sterbehilfe ist da und ich halte es für einen bevormundenden Rückschritt.

Die wichtigste Neuheit: Sterbehilfevereine sind künftig in Deutschland nicht mehr zulässig, weil sie kommerziell arbeiten. Das heißt, sie bieten Sterbehilfe und nehmen Geld dafür. 

Nun möchte ich gerne eines wissen: Wie unterscheiden sich Sterbehilfevereine von einem praktischen Arzt, oder einem in der Klinik? Der eine verschreibt beispielsweise seinen Patienten stets dieselben Magentabletten und bekommt Geld dafür. Oder der Chirurg: Er operiert eine Hüfte nach der anderen und bekommt ebenfalls Geld dafür und das in beiden Fällen sogar von der Krankenkasse. Gian Domenico Borasio, ein erfahrener Palliativ-Mediziner, nennt Geld in seinem Buch „selbst bestimmt sterben" sogar das handlungsleitende Motiv in unserer Gesundheitsversorgung: 

erstens, Geld

zweitens, Geld

drittens, Geld.

Wie verlogen muss man also sein, wenn man ausschließlich Sterbehelfern ein Honorar abspricht? 

 

Aus der Praxis: Bei uns im CBF haben in den vierzig Jahren, die es uns gibt, einige Menschen die Unterstützung von Sterbehilfevereinen in Anspruch genommen. Sie mussten dazu in die Schweiz fahren. Sie mussten in ihrem schrecklichen körperlichen Zustand, schwerbehindert ein Leben lang und todmüde von einem oft traurigem, verzweifeltem, missachteten Leben auch noch die Beschwerden einer langen Reise und einer erschöpfenden Prozedur auf sich nehmen, ehe sie endlich sterben konnten. Muss man das den Menschen wirklich zumuten? 

Oder – Menschen ohne körperliche Behinderung müssen, wenn sie ihrem Leben ein Ende setzen wollen, von einer Brücke oder vor die U-Bahn springen. Muss man ihnen einen so grausamen Tod zumuten, der oft auch noch andere Menschen in Mitleidenschaft zieht? 

Um diese Art der Kritik möglichst unauffällig abzufangen, hat die Regierung bewusst kurz vor dem Beschluss des Sterbehilfegesetzes die Verbesserung des Palliativ-Versorgung beschlossen. Das heißt, dass ich im Falle eines Falles auf freundliche und schmerzlindernde Weise beim natürlichen Sterben unterstützt werde – zuhause oder auf der Palliativ-Station. Was aber, wenn sich dieses Sterben lange hinzieht und ich ein langsames Dahinsiechen nicht mitmachen möchte? Dann muss auch ich in die Schweiz. Und ich muss diese Entscheidung rechtzeitig treffen, damit ich den Weg dahin noch schaffe!

Borasio verweist in seinem Buch auch auf die “aggressive, allgegenwärtige Übertherapierung“ am Ende eines Lebens. Unser Problem ist also nicht so sehr, dass Menschen sterben, sondern dass so viele Ärzte sich weigern, Menschen sterben zu lassen. Wie kann ich mich gegen diese Art „Wohltäter“ wehren?

Außerdem weist Borasio auch auf einen anderen zentralen Missstand in unserer Gesundheitsversorgung hin: Wir haben eine nur ungenügend informierende, dafür aber eine verfügende, gelegentlich sogar extrem bevormundende Medizin. Ärzte bestimmen über Patienten, oft von oben herab, aber sie sind nicht ans Zuhören gewöhnt. Was wir jedoch brauchen, ist eine „hörende Medizin“. Wem haben die Macher des neuen Sterbehilfe-Gesetzes also wohl zugehört? Ich habe den Verdacht, dass das nicht die Betroffenen waren, sondern diejenigen Politiker, Ärzte und Theologen, die in ihrem Leben bisher sehr wenig mit der Praxis und dem wirklichen Leben zu tun hatten. 

(Zum Weiterlesen: Gian Domenico Borasio: selbst bestimmt sterben. Was es bedeutet. Was uns daran hindert. Wie wir es erreichen können.)

 

Bitte schreiben auch Sie uns Ihre Meinung.

Ingrid Leitner

 

Anmerkung der Redaktion: Im Bundesgesetzblatt vom 7. bzw. 9. Dezember 2015 sind die Neuregelungen im Bereich der Sterbehilfe und Palliativversorgung nunmehr veröffentlicht. In einer der nächsten Ausgaben werden die jetzt geltenden Regelungen daher ausführlich vorgestellt.