Neulich fuhr ich mit der S-Bahn vom Hauptbahnhof zum Marienplatz, als die Ansage kam, dass der  Aufzug auf der linken Seite ist und nicht rechts, wo man normalerweise aussteigt. Da habe ich mich erinnert, wie wir das im Beratungsgremium der bayerischen Behindertenbeauftragten zur Barrierefreiheit durchgesetzt haben. Die Münchner S-Bahn hatte bereits seit Jahren behauptet, die Zeit würde für so eine Ansage nicht reichen. Als sich der Vertreter des ADAC in dem Beratungsgremium schließlich an den Kopf langte und meinte, das könne doch wohl nicht sein, fehlten auch der S-Bahn die Argumente - und es wurde ein“ Versuch“ gestartet.
Das hat mich darauf gebracht, dass wir bei unserem Jubiläum durchaus einmal erwähnen sollten, was der CBF alles für die Barrierefreiheit in München, aber nicht nur dort getan hat. Eigentlich ist es nicht unsere Art, uns groß herauszustellen, aber das 40. Jubiläum ist doch einmal ein guter Anlass, uns selber zu loben. Aber keine Angst, wir werden jetzt nicht alles aufzählen.
Ein paar wichtige Highlights sollte man schon erwähnen! Alles, was wir erreicht haben, haben wir auch nie alleine bewerkstelligt, sondern mit vielen  Menschen mit und ohne Behinderung in den verschiedensten Gremien, Organisationen, mit Behörden und im Stadtrat.
In Laufe der Jahre haben wir uns erkämpft, in wichtigen Gremien mitzuarbeiten: im DIN für barrierefreies Bauen, lange Zeit in der bundesweiten AG der Bahn, beim Beratungsgremium der Bayerischen Eisenbahn Gesellschaft, im Beratungsgremium der Bayerischen Behindertenbeauftragten. Gelungen ist uns dies, indem wir einfach jahrelang  ungefragt und rotzfrech an die zuständigen Behörden Briefe mit Forderungen und Vorschlägen geschrieben haben. Auch bei der Bahn haben wir uns so erkämpft, regelmäßig zu Bauvorhaben gehört zu werden.
In München arbeiten wir seit Beginn im Behindertenbeirat mit und im Beraterkreis barrierefreies Planen und Bauen, den wir mitinitiiert haben.
Damals gab es keinerlei Gesetze oder Verordnungen, die überhaupt nur die Belange von Menschen mit Behinderungen berücksichtigten. Das hat sich inzwischen komplett geändert: Öffentliche Zuschüsse für Fahrzeuge oder bei Um- oder Neubauten werden nur vergeben, wenn auch die Barrierefreiheit gewährleistet ist, z.B. muss jetzt bei jeder Busanschaffung nachgewiesen werden, dass das Fahrzeug auch die Belange von Menschen mit Behinderung berücksichtigt, sonst gibt es keinen Zuschuss. In die Bayerische Bauordnung sind inzwischen Teile der DIN 18040 aufgenommen.
Zu Beginn unserer Arbeit ging es noch um die Begriffe „rollstuhlgerecht“ und „behindertengerecht“, wobei wir unter behindertengerecht in der Regel auch  rollstuhlgerecht verstanden. Diese Entwicklung zur Barrierefreiheit als universelles Prinzip, das nicht nur bestimmten Behindertenarten zu Gute kommt, haben wir wie die Gesellschaft auch mitgemacht.
In der zweiten Hälfte des 80-er Jahre begann dieser Prozess mit der Anschaffung des Niederflugbusses in München (der erste in der Bundesrepublik), wobei wir uns für ein Fahrzeug entschieden, das nicht nur Rollstuhlfahrern, sondern auch Gehbehinderten, Personen mit Kleinkindern und Menschen mit Gepäck die Mitnahme ermöglicht und erleichtert. Daraus entstand dann der Slogan: Bahn und Bus für Alle! Der zielte schon in die richtige Richtung auf Barrierefreiheit. Heute sind diese Busse auch für Sehbehinderte und blinde Menschen durch kontrastreiche Fahrzeuggestaltung und das Zwei-Sinne-Prinzip (alle Informationen visuell und auditiv) geeignet. Auch für die Nichtbehinderten eine Selbstverständlichkeit, da der Komfort zunimmt.
Heute weiß niemand mehr, dass wir lange darum gekämpft haben, dass alle Busse mit Einstieghilfen fahren und nicht nur jeder 3. Bus. Aber dank dem Münchner Stadtrat ist uns dies gelungen und heute ist es auch längst selbstverständlich, dass jede Straßenbahn (bis auf die paar lästigen Reste, die immer noch ersatzweise eingesetzt werden) in Niederflurbauweise mit Einstieghilfe fährt. Auch die Haltestellen werden umgebaut, aber bei dem großen Netz ist das immer noch nicht abgeschlossen. Heute geht es dann in Auseinandersetzungen um die Frage: Können auch zwei Rollstühle mitfahren und kann der Fahrer dafür sorgen, dass der Rollstuhlstellplatz für diese freigehalten wird? Oder sagt der Fahrer lieber gleich: Es geht kein Rollstuhl mehr rein? Das Kneeling ist auch so ein Streitpunkt: Damit können alle Münchner Linienbusse zusätzlich absenken, der Einstieg wird noch etwas niedriger, es bleibt aber den Fahrern überlassen, ob sie es einsetzen, wenn sie meinen, ein Fahrgast braucht das. Das kann ein Fahrer gerade dann, wenn viele Leute aus- und einsteigen gar nicht feststellen, außerdem sieht man nicht jedem Fahrgast an, ob er das braucht. Deshalb fordern wir, dass das Kneeling (Absenkung von Bussen an der Einstiegseite) immer eingeschaltet wird. Bei der U-Bahn gelang es schon in den 80-er Jahren im Stadtrat, einen Beschluss zur Nachrüstung mit Aufzügen durchzusetzen. Es sind auch schon längst überall Aufzüge und Rampen gebaut, bei einigen Rampen ist es leider so, dass sie nach den neuen Standards nicht mehr  barrierefrei sind.
Seit Anfang der 90-er Jahre wurden alle neu gebauten und umgebauten Bahnsteige auf 96cm erhöht, somit ist der Einstieg hier leichter. Lustig ist, dass die MVG, nachdem sie Druck bekommen hat, wegen der gesetzlichen Forderung, dass alle Verkehrsmittel bis 2023 barrierefrei zu erreichen sein sollen, jetzt plötzlich eine Forderung von uns aus den 80-er Jahren aufgegriffen und eine partielle Bahnsteigerhöhung erprobt hat. Das erleichtert tatsächlich den Einstieg. Besser spät als nie - aber das hätte auch schon vor mehr als 20 Jahren verwirklicht werden können! Denn die Mehrzahl der Bahnsteige ist immer noch nicht erhöht.
Der Aufzug am Marienhof zur U6 ist auch auf unserem Mist gewachsen, leider ist es uns beim der Bau des U-Bahnhofs Fröttmaning nicht gelungen, dort einen zweiten Aufzug durchzusetzen, obwohl wir dazu sogar einen regen Briefwechsel mit dem damaligen Ministerpräsidenten Stoiber hatten. Schade, die Fußballfans, nicht nur die behinderten, hätten es ihm gedankt.
Sehr stolz waren wir, dass der Freistaat Bayern für die S-Bahn-Region München ein millionenschweres Programm zum barrierefreien Umbau der Bahnhöfe aufgelegt hat, für das wir seit Jahren gekämpft hatten. Es gibt mittlerweile das dritte Anschlussprogramm, denn das ist teuer und es sind einfach sehr viele Bahnhöfe. Erst letztes Jahr haben wir uns in unserer Stellungnahme dafür stark gemacht, dass beim barrierefreien Umbau der Donnersberger Brücke nicht nur ein Aufzug auf der Ostseite des Mittleren Rings gebaut wird, sondern auch einer auf der Westseite. Denn kommt man vom Norden mit dem Linienbus oder mit dem Auto, kann man den Ring  nicht überqueren und muss lange Umwege in Kauf nehmen. Da die Bahn aber leider höchstrichterlich abgesegnet bekam, dass ein Aufzug zur barrierefreien Erschließung genug ist, wird jetzt wohl die Stadt in die Bresche springen.
Wir sind aber auch dankbar, dass die Stadt München hier ein Einsehen hat und für die S-Bahn einspringt, auch wenn wir der Meinung sind, das wäre Aufgabe der Bahn.
Aber nicht nur mit der S-Bahn, auch mit der Bahn bayern- und bundesweit verbindet uns eine lange Geschichte:
Bis in die 80-er Jahre konnten Menschen im Rollstuhl bei der Bahn auch mit Begleitperson nicht „normal“ mitfahren, weil sie nicht in die Wagons hineinpassten. Deshalb war damals noch die Beförderung im Gepäckwagen, ohne Heizung, ohne Toilette als „Stückgut“ üblich. Dagegen gab es großen Protest.
Zwar wurde der CBF bereits Mitte der 90-er Jahre zur Innenausstattung eines Hotelzugs mit Rollstuhlabteil hinzugezogen. Eine Einstieghilfe war aber nicht vorgesehen.
Nachdem in der 90-ern schon wieder ein neues Intercitymodell, zwar mit Rollstuhlplätzen, aber ohne Einstieghilfe, in Betrieb genommen wurde, hat der CBF am Bahnhof dagegen demonstriert.
Mit unserem Dachverband, der BAG der CBFs in Deutschland, kam es zum Zerwürfnis, weil wir, nachdem eine fahrzeuggebundene Einstieghilfe auf lange Jahre nicht in Sicht war, die mobile Einsteighilfe für den Bahnhof entwickelt haben. Die Bundesarbeitsgemeinschaft meinte, wir würden ihnen in den Rücken fallen. Aber leider war eine fahrzeuggebundene Einstieghilfe, die wir auch ganz klar bevorzugen, nicht in Sicht. Unser Mitglied D. Richthammer hat mit der FH München auf der Basis eines Gabelstaplers diese Einstiegshilfe ausgeheckt. Unterstützt hat uns hier der Freistaat Bayern. Es wurde ein Riesenerfolg -  diese Einstieghilfe wurde für viele Bahnhöfe auch im Rest der Republik  angeschafft. Sie ermöglicht zwar immer noch kein spontanes Fahren, aber immerhin kam  Bahnfahren damit überhaupt in den Bereich des Möglichen. Dieses Modell ist heute noch da und wird erst nach und nach im Regionalverkehr durch fahrzeuggebundene Einstieghilfen überflüssig gemacht. Uns war hier der Spatz in der Hand lieber als die Taube auf dem Dach.
Im Fernverkehr kommen erst mit dem letzten ICE-Modell (20 Jahre zu spät!) Züge mit Einstiegslift in den Einsatz. Diese fahrzeuggebundenen Einstieghilfen machen die Voranmeldung (zumindest für den Einstieg) überflüssig. Da das Stellplatzangebot im Zug aber nach wie vor begrenzt ist, ist vorherige Reservierung immer noch notwendig. Aber wir kommen dem Ziel, dass jeder Mensch mit Behinderung die Bahn „ohne besondere Erschwernis auf die allgemeingültige Art und Weise“ nutzen kann, näher.
Es gibt aber auch immer noch Rückschläge und vieles dauert lange oder ist unzureichend. Als Beispiel sei hier der Fernbusverkehr genannt:
In München wurde der Zentrale Omnibusbahnhof barrierefrei gebaut - die Busse, die dann dort fahren durften (mit Einführung der Fernbuslinien) mussten aber nicht barrierefrei sein!
Ein anderes Thema, dem wir uns auch sehr frühzeitig zugewandt haben, ist der Wohnungsbau. Denn die Wohnsituation behindert die Menschen noch zusätzlich, wenn sie nicht ohne fremde Hilfe ihre Wohnung aufsuchen und verlassen oder nicht selbstständig auf die Toilette gehen oder duschen können. Dazu bauten wir mit der Bayerischen Architektenkammer gemeinsam die Beratungsstelle „Barrierefreies Planen und Bauen“ auf. Unsere beiden Mitglieder Lothar Marx als Architekt und Dieter Richthammer als Betroffener waren unter den ersten Beratern. Inzwischen haben die städtischen Wohnungsbaugesellschaften wie Gewofag und GWG eigene Abteilungen, die sich um die Barrierefreiheit bei Neubau, Umbau und individueller Wohnanpassung kümmern.
Wobei das Wohnen hier ein ganz eigenes Kapitel darstellen würde, auf das ich jetzt nicht eingehe, da der Mietmarkt in München die Situation extrem erschwert. Zwar müssen nach Bayerischer Bauordnung bei Neubauten mit mehr als zwei Wohnungen barrierefreie Wohnungen gebaut werden, aber diese Neubauwohnungen sind in der Regel unerschwinglich.
Vieles ist vorwärts gegangen in den letzten Jahren - aber von einer barrierefreien Umwelt sind wir immer noch weit entfernt. Sorgen müssen wir auch dafür, dass in den öffentlichen Verkehrsmitteln bei immer mehr Fahrgästen und immer kürzeren Taktzeiten die Mobilitätsbehinderten nicht auf der Strecke bleiben.
Manchmal kommen wir uns vor wie Sisyphos, der immer wieder den Stein den Berg hinauf wälzen muss, als Strafe, weil er die Götter herausgefordert hat. Wer weiß, wen wir herausgefordert haben, denn auch wir müssen uns immer wieder an der Barrierefreiheit abarbeiten. Aber Camus meinte ja, man müsse sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen - vielleicht sind auch wir ganz glücklich mit unserer Arbeit.
Carola Walla