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Wie viel Behinderten-Politik bieten die Parteien und ihre Programme zur Kommunalwahl – in München beispielsweise?
Carola Walla und Ingrid Leitner haben sich die Wahlprogramme der vier großen Parteien angeschaut, wobei sich Ingrid Leitner die Grünen und die CSU und Carola Walla die Linke und die SPD vorgenommen hat.


Grüne
„Inklusion betrifft sämtliche Lebensbereiche und ist damit eine Querschnittsaufgabe.“ So steht es im Wahlprogramm der Grünen. Wenn ich diesen Satz ernst nehme, dann würde das heißen, dass ganz München generell so gestaltet sein müsste, dass behinderte Menschen überall, grundsätzlich und von vornherein, ohne Hindernisse ihren Platz finden könnten. Jetzt würde mich interessieren, wie die Grünen das anstellen wollen! Und wäre eigentlich schon froh, wenn das wenigstens in den Schulen und anderen Bildungseinrichtungen der Fall wäre! Denn – wie lange warten wir schon darauf? Und wenn man bei den Grünen schon so umfassend denkt, dann hätte in allen Punkten, die die soziale Gleichstellung der Münchner Gesellschaft betreffen, immer auch das Wort barrierefrei vorkommen müssen.
Resümee: Mir wäre es lieber gewesen, die Partei würde sich zur strikten und schleunigen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bekennen. Da gibt es genügend konkrete Forderungen. Aber – die Grünen haben immerhin einen Pluspunkt: Auf ihrer Wahlliste steht ein kundiger Mann, der selber im Rollstuhl sitzt – Oswald Utz, der derzeitige Behindertenbeauftragter der Landeshauptstadt München. Er könnte als parteiinterner Mahner fungieren und so manche verblasene Idee zurechtrücken!


CSU
Was die UN-Behindertenrechtskonvention betrifft, so bekennt sich die CSU ebenfalls zu dieser internationalen Absichtserklärung, aber wie die Verwirklichung aussehen soll, ist noch weniger klar als bei den Grünen: „Die Landeshauptstadt München steht deshalb in der Verantwortung, in allen Bereichen die Inklusion zu beachten und umzusetzen. Die Umsetzung aller notwendigen Maßnahmen muss schrittweise und auch in den Köpfen der Menschen erfolgen.“ So der Text im Original. Aber der Verweis auf die „Köpfe der Menschen“ ist mir zu billig - er kostet nichts!
Dann die Schulpolitik. Zur Schulpolitik gehört zwar auch bei dieser Partei das Bekenntnis zur Ganztagsschule, zu mehr Kindergarten- und Hortplätzen, aber ist diese Absichtserklärung auch inklusiv gemeint? Das heißt, wird hier eine Schul-Welt vorbereitet, in der behinderte Kinder generell miteingebunden sind? Ich sehe keinen Hinweis darauf.
Einen hoffnungsvollen Ansatz gibt es allerdings: Da sehr viel von Senioren- und Altenpolitik die Rede ist, und diese Gruppe eine wachsende Anzahl von Münchner Bürgern umfasst, richtet sich das Augenmerk jetzt offensichtlich mehr als bisher darauf, die Umwelt barrierefrei zu gestalten: „...muss München seniorenfreundlicher und barrierefreier werden“ Und wenn wir nun die Behinderten, die Kinder und die Mütter mit Kinderwägen, die Unsicheren, die Verwirrten und zum Schluss auch die sogenannten Normalen – also den Rest der Bevölkerung - noch dazurechnen, könnten wir einfach sagen – München wird auf angenehm bequeme Weise bewohnbar, wenn einmal alles grundsätzlich barrierefrei geplant und gebaut wird!


Die Linke
Eines muss man der Linken lassen: Die behinderten Menschen werden nicht nur in einem Punkt abgehandelt, sondern ganz im Sinne der Inklusion bei jedem Kapitel einbezogen: Schule, Bauen, Armut, Selbstbestimmung und Teilhabe. Es werden die Forderungen der Betroffenen, des Behindertenbeirats, aufgegriffen. Dass da auch Forderungen aufgestellt werden, die in München und auch Bayern längst Gesetzeslage sind und auch Praxis, wie z.B. die barrierefreie Neugestaltung aller Neu-, Um- und Anbauten im öffentlichen Bereich Münchens, wird da nicht so genau genommen. Bei der Umsetzung des barrierefreien Bauens hapert es, das ist unser Problem. Auch die Verpflichtung, einen Behindertenbeirat zu bilden und einen Betroffenen als Behindertenbeauftragten zu verpflichten, ist längst umgesetzt, der Behindertenbeirat München hat gerade sein 40-jähriges Jubiläum gefeiert. Der Aktionsplan, zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention, der hier gefordert wird, wurde bereits letzten Juli im Stadtrat verabschiedet. Dieser spiegelt aber auch vor allem wider, wie weit und teilweise wie wenig Inklusion in der Stadtverwaltung angekommen ist, dass z.B. aus dem Baureferat gar keine Aktionen zur Umsetzung benannt wurden.
Eigentlich vermisse ich hier Schwerpunkte, denn es geht beim Kommunalwahlprogramm nicht darum, alle Forderungen reinzupacken, die es zur Politik gibt. Es ist schon richtig, eine allgemeine Linie anzugeben, der Stadtrat kann auch an den Bund und an das Land Forderungen, z.B. zur Armut, stellen. Aber es sollte deutlich werden: Was kann der Stadtrat selber umsetzen und was richtet sich an den Bund und das Land?


SPD
München - Musterbeispiel einer inklusiven Stadtgesellschaft! Das ist eines der Hauptziele, die im Wahlprogramm der SPD formuliert sind. Die inklusive Vorgehensweise wie beim Wahlprogramm der Linken gibt es hier aber nicht.
Unter dem Stichwort „Schule“ kommt die Inklusion als übergeordnetes Ziel vor. Da könnte man sich allerdings mehr konkrete Maßnahmen vorstellen. Es wird mit den Parolen „Solidarität in der Stadt - Stadt der Gemeinsamkeiten“ geworben, was sich ja nicht schlecht anhört.
Als Musterbeispiel einer inklusiven Stadt soll der neue „barrierefreie“ Stadtteil Freiham dienen, wenn da nicht jetzt schon einiges schief gelaufen wäre, was gerade nicht zum Musterbeispiel taugt. Die entsprechenden Beratungsgremien bei der Stadt „Beraterkreis Barrierefreies Planen und Bauen“ und der Behindertenbeirat wurden lange Zeit gar nicht einbezogen. Als sie damit befasst wurden, stellte sich heraus, dass z.B. die Rampe zur S-Bahn, die die Stadt finanziert hat, nicht barrierefrei gebaut wurde, obwohl genügend Platz vorhanden gewesen wäre, einfach aus Gedankenlosigkeit. Und die Bahn besteht jetzt auch noch darauf, dass ein Schild aufgestellt wird, das die Benutzung für Rollstuhlfahrer ausdrücklich verbietet. Es gibt zwar Aufzüge, das kann aber bedeuten, dass Rollstuhlfahrer riesige Umwege fahren müssen, während alle anderen auf dem kurzen Weg zur S-Bahn kommen.
Dass weiterhin formulierte Ziel „Barrierefrei durch die Stadt“ ist sehr zu begrüßen, aber das bedeutet nicht automatisch, dass alles, was als barrierefrei betitelt wird, auch wirklich barrierefrei ist. Die Rampe sollte auch als barrierefrei durchgehen. Wichtig ist, dass die entsprechenden Beratungsgremien rechtzeitig einbezogen werden und so ausgestattet werden, dass sie diese Arbeit auch erfüllen können.
Wenn die SPD schließlich noch als wichtiges Ziel den Bau von barrierefreien öffentlichen WC-Anlagen formuliert, dann reibt man sich schon die Augen. Hat nicht gerade erst der Stadtrat die Schließung von einer ganzen Reihe von WC-Anlagen darunter auch barrierefreier WCs beschlossen? Wir freuen uns ja, wenn die SPD die Absicht bekundet, mehr barrierefreie Anlagen zu installieren, diese werden benötigt.
Gewiss ist es nicht sinnvoll, jede öffentliche Toilette im Stadtgebiet beizubehalten, wenn sie wenig frequentiert wird, aber es müsste vor allem erfasst werden, wo weitere öffentliche Toiletten gebraucht werden. Gerade in einer alternden Stadtgesellschaft ist das ein dringendes Bedürfnis. Wie wäre es denn damit, an der Münchner Freiheit endlich die allgemeine Toilettenanlage zu installieren, die mit dem Umbau geschlossen wurde? Es gibt eine barrierefreie Toilette, die kann aber nur mit dem Spezialschlüssel geöffnet werden.


Ingrid Leitner und Carola Walla