Herbstfest am 24.11.2024 - Kommt alle! meldet euch an! Einladung hier.

30. August 2012, Freitag

Andere buchen einen Abenteuer- Urlaub. Auf mich lauert das Abenteuer stets und überall! Auf unserer Reise nach Rügen sind wir gut in Berlin, Hotel MITMENSCH, angekommen. …

 

31. August, Samstag

Ankunft im Seebad Binz. Ich habe die Reise als Geschenk erhalten und hatte wenig Vorstellung davon, was mich in Binz erwarten würde. Eine Ferienwohnung nah am Strand, das wusste ich, und ich freute mich schon sehr! Was ich dann allerdings vorfand, hätte ich mir nie träumen lassen – eine geräumige, äußerst bequeme und stilsicher eingerichtete Wohnung - direkt am Meer mit Blick auf den Strand und das Wasser! Ein Traum, mit dem ich nun täglich aufwachen würde, vierzehn Tage lang!

1. September, Sonntag

Alles wollten wir sehen, aber womit anfangen? Sellin war das Seebad gleich nebenan. Also zuerst einmal dahin. Das über 700 Jahre alte Sellin liegt inmitten bewaldeter Hügel, zwischen dem Selliner See (einem großen Binnensee) und der Steilküste. Die Wilhelmstraße, sie verbindet See und Steilküste, ist die Flaniermeile Sellins: Hier reihen sich historische Häuser und Villen mit reich verzierten Veranden und Balkonen aneinander. Die Straße endet an der Steilküste, wo sich ein überraschender Blick auf die schönste Seebrücke der Ostseeküste (so der Reiseführer) bietet. Diese Seebrücke ist mit fast 400 m die längste Rügens und ein Wahrzeichen der Insel. Da standen wir also auf einer Art Aussichtsbalkon und schauten auf das bewegte Meer und die Prachtbauten am Eingang zur Seebrücke – das Palmenhaus, ein Cafe und der Kaiserpavillon, ein Restaurant - wiederhergestellt und glänzend weiß, wie ehedem zu Kaiser Wilhelms Zeiten. Mit einem Aufzug ging es nach unten. Auf der Seebrücke selber – umkreist von gierigen Möwen - kauften wir uns unsere erste Fischsemmel, eine dieser mit verschiedenen Fischen belegten Semmeln, die man hier „Fischbrötchen“ nennt. Danach verging kein Tag, an dem wir nicht wenigstens eine dieser bekömmlichen Kleinmahlzeiten verspeist haben. Ein Essen, mit dem man gut über hungrige Runden kommen kann - billig, nahrhaft und köstlich! Ganz plötzlich fiel Regen aus einer kleinen Wolke. Danach sofort wieder Sonne. Die Leute hier wissen, wie rasch das Wetter wechselt, deshalb spannen sie ihren Regenschirm gar nicht erst auf. …

2. September, Montag

Der Fischereihafen von Sassnitz mit der größten Fischtheke Rügens liegt nur wenige Kilometer von Binz entfernt. Wir hatten im Reiseführer entdeckt, dass man mit einem barrierefreien Schiff den berühmten Kreidefelsen entlangschippern und ihn somit vom Meer her ausführlich bewundern kann. Und tatsächlich, mit der MS ALEXANDER - sogar ein barrierefreies Klo gibt es - sind wir losgefahren, immer den weißen, auch mal gelblich oder bräunlich übertünchten Felsen entlang. Vorspringende Küsten-Formationen, kanzel- oder säulenartig, mit dunklen Scharten übersät. Obendrauf eine Haube von grünen Bäumen, meistens Buchen, und in jeder Falte und Ritze, die Meer oder Regen ausgewaschen haben, siedeln sich auf spärlichen Erdkrumen aufs Neue kleine Pflänzchen an. Der massiv sich vorwölbende KÖNIGSSTUHL, ein besonders imposanter Felsen, hat vor allem zwei Sagen angeregt: Die eine: Der Schwedenkönig hat vom Königsstuhl aus eine Seeschlacht befehligt, und die zweite: Ein kleiner Hirtenjunge hat den gewaltigen Felsen zum ersten Mal erklettert und seit diesem Ereignis heißt er KÖNIGSSTUHL. Letztere Erklärung gefällt mir besser! …

3. September, Dienstag

Morgenrot ganz orange, herrlicher Blick aufs Meer – alles glüht, alles brennt! Dann raus aus dem Bett und auf zur nächsten Entdeckungsfahrt! Kap Arkona – der nördlichste Zipfel von Rügen, gleichzeitig der nördlichste Zipfel Deutschlands - ist ein von Touristen viel besuchtes Stück Landschaft. Behinderte dürfen hinauffahren bis zu den beiden Leuchttürmen. Das war für uns sehr praktisch, denn der Trampelpfad zur äußersten Landspitze ist für Rollstuhlfahrer unbequem genug. Er führt durch ein kleines Küstenwäldchen, in dem verschiedenste Bäume und Büsche sich tapfer gegen Wind und Wetter an die Felsen klammern. Erstmals in diesem Jahr, so fiel mir plötzlich auf, roch es hier nach Herbst, ein herrlicher Duft, vermischt mit der salzigen Meeresluft. Zurückgekehrt zum Ausflugslokal bei den Leuchttürmen, sitzen wir auf der Wiese vor einem kleinen Imbiss und schauen über die weite Landschaft mit Büschen und Trockengräsern. Auch in Rügen wurde in mittelalterlichen Zeiten zu viel Holz verbraucht, so dass heute die Wälder, die es noch gibt, geschützt werden. Danach weiter ins Dorf Vitt, direkt am Meer, in einem schroffen Küsteneinschnitt gelegen. Vom Parkplatz aus geht der Weg steil und steinig nach unten. Touristen, die uns entgegenkommen, fragen wir, ob wir mit dem Rollstuhl ohne Probleme runterkommen würden zum Café an der Klippe. Sie schauten mich zweifelnd an: „Der Weg ist am Ende sehr steil. Da kommen Sie zwar runter, aber nicht mehr rauf!“ Wir, mein Rollstuhl und ich, schafften beides. Die Leute wussten ja nicht, dass wir schon ganz andere Steigungen bewältigt haben!

4. September, Mittwoch,

Ruhetag Ein glühender Sonnenaufgang – wie immer um halb sechs in der Früh - das ganze Zimmer war orange erleuchtet! Heute die Binzer Strandpromenade entlang, von der aus man immer das Meer auf der einen, die weißen Villen auf der anderen Seite sieht, rolle ich gemütlich vor mich hin. Die Villen sind übrigens auch hier in Binz meistens riesige Häuser, eher Schlösser, die den immer selben Baustil aufweisen: Ein großer Steinbau und ihm vorgesetzt ein breiter Holz-Baukörper, bestehend aus mehr oder weniger luftigen Balkonreihen, Veranden oder Loggien. Diese sind immer reich verziert und sehen oft aus wie Laubsägearbeiten: Herz- und Blumenformen, Ranken-Tropfen-Wellen-Muster, manchmal griechisierend, oder an Schweizer Bergchalets erinnernd. Immer fantasievoll und abwechslungsreich. Es gibt in Binz noch ca. 400 dieser historischen weiß-strahlenden Villen. Der Strandpromenade entlang also – sie ist die längste auf Rügen – bis zur Strandhalle, dem Überbleibsel eines großen Hotels. Eine feudal eingerichtete Halle, die man damals für das Publikum, das sich am Strand tummeln wollte, bereitstellte. In diesen einzeln stehenden Hallen wurde auch getanzt und im Winter stapelte man hier die Strandkörbe. Der Rollstuhlfahrer kann aber nur einen Blick durch die geöffnete Tür werfen, da sich, wie häufig, am Eingang Stufen befinden. Viel Plüsch und Pomp im Innern - altväterlich, gediegen, schwer und luxuriös. Aber der Ausblick, den man vor der Halle sitzend hat, über die ganze riesige Bucht bis zu den berühmten Kreidefelsen, dieser Ausblick entschädigt, ebenso wie das Essen: Ein Fischeintopf, frisch, wunderbar gewürzt. Monika hat übrigens einen Scheiterhaufen gegessen. Kennen Sie dieses rustikale Dessert? Äpfel werden grob geraspelt. Man legt sie um eine Kugel Vanilleeis herum und karamellisiert das Ganze goldbraun. Könnte man auch mit bayerischen Äpfeln machen! …

5. September, Donnerstag

Diesmal habe ich den Sonnenaufgang verpasst. Egal, mein Bett steht wie jeden Tag am Strand, die Wellen rauschen heran, ich schaue den ersten barfüßigen Spaziergängern zu. Hiddensee. Eine sehr lange schmale Insel, die vor der Westküste Rügens liegt. Eine Stunde Fahrt mit dem Schiff und man ist drüben. Für Behinderte mit Begleitperson ist die Fahrt übrigens kostenlos. Von Kloster aus, dem Ort, der durch den Dramatiker Gerhard Hauptmann berühmt wurde, geht es einen Plattenweg durch Trockenrasen-Dünen, an saftigen Sanddornbüschen mit fast reifen orangefarbenen Früchten, an wilden Holundersträuchern mit schwarzen Beeren vorbei, dazwischen einzelne Kiefern, hinauf bis zum sogenannten Inselblick. Der Plattenweg – etwa einen halben Meter breite Betonplatten mit großen Spalten dazwischen – eine Katastrophe! Man rollt einen knappen halben Meter, dann plumpst man in den nächsten Spalt. Bumm, bumm, bumm, bumm, bumm. Ein alter Mann ging zügig an uns vorüber, drehte sich um und sagte anerkennend: „Alle Achtung!“ Ich weiß nicht, ob er mich oder meinen Rollstuhl gemeint hat. Dann erreichen wir die Plattform mit dem wunderschönen Blick auf die Hügel, die halbe Insel, das Meer und das gar nicht so weit entfernte Ufer Rügens. Aber danach müssen wir wieder hinunter – wumm, wumm, wumm, wumm, wumm.... „Der Weg ist keine Freude, nicht wahr!“, sagte eine Frau mitfühlend. „Das kann man sagen“, bestätigte ich, begeistert von so viel verständnisvollem Mitgefühl!

6. September, Freitag,

Ruhetag mit Strandspaziergang in Binz Schräg gegenüber der feinen Strandhalle mit ihrer gehobenen Küche – die rustikale Alternative: Fischräucherei Kuse. Die Kuses führen hier seit 4 Generationen einen Fischerei- und Räucherbetrieb. Also frischer kann man den Fisch nicht bekommen! Man sitzt gleich über dem Strand auf einer kleinen Holzterrasse mit Selbstbedienung. Es gibt nur Fischbrötchen oder Stücke von frischem oder geräuchertem Fisch. Das ist billig und die Brötchen sind ein sehr reelles Angebot, da man nur den dicht belegten unteren Teil der Semmel kauft. Viele Leute baden, denn es herrscht strahlender Sonnenschein, wenn es für meinen Geschmack auch sehr windig ist – ich im Pelzumhang, die anderen mit kurzen Ärmeln oder im Badeanzug. …

11. September, Mittwoch

Baumwipfelpfad - eine Entdeckung! Der Baumwipfelweg – ich kenne ja aus dem Bayerischen Wald einen Baum-Wipfel- und einen Wald- Wipfel–Weg - , aber so etwas Großartiges wie die Konstruktion, die die Rügener da aufgebaut haben, habe ich noch nicht gesehen! Manche Menschen bevorzugen natürliche Aussichtspunkte, auf einem Berg oder Hügel oder auch Leuchtturm, wobei Letzterer ja auch von Menschenhand errichtet worden ist. Ich aber liebe auch die kunstvoll geplanten Aussichten, denn da komme ich mit meinem Rollstuhl ohne Mühe oder Gefahr in den vollen Genuss des Panoramablicks. Das hiesige von den Betreibern „Adlernest“ genannte Aussichts- Bauwerk war erst im Juni eröffnet worden. Ein breiter hölzerner Steg schlängelt sich, gemächlich ansteigend, durch den Wald, ist bald auf der Höhe der Baumwipfel und dreht sich dann in 14 Spiralen in einer Kuppel hinauf bis zu einem atemberaubenden Ausblick über die halbe Insel. Wald, Wasser, Küstenlinien, Häfen, weiße Bädervillen und auch Hitlers „Kraft- durch-Freude“-Koloss in Prora zeigt sich von oben in seiner überdimensionierten Ausdehnung. Die Sonne blendet und glitzert auf den Wassern, der Wind weht frisch und wir: wieder und wieder rundherum gehen – schauen und schauen und die ganze Schönheit einsaugen!

Baumwipfelpfad

12. September, Donnerstag

Heute war der Sonnenaufgang von Wolken verdeckt gewesen. Aber dann kam sie wieder, die Sonne! Von Alt-Reddevitz aus stößt eine schmale Landzunge in die Ostsee hinein. Wenn man hier spazieren gehen könnte, würde man auf beiden Seiten das Meer sehen, dachten wir uns. Und so war es. Als der Weg sich langsam auf den Rücken der schmalen Halbinsel hinaufgedreht hatte, sahen wir es, das Meer auf beiden Seiten! Es leuchtete und glänzte und außer einigen Radlern und wenigen Gehöften an den Steilufern war nichts, was einen ablenken konnte von der stillen, genussvollen Einsamkeit dieser wasserumspülten Landschaft. Zum Abschluss einen schmackhaften Schmandkuchen mit Sanddorn an einem Tisch direkt am Meer. Kann das Leben schöner sein? …

14. September, Samstag

Wir packen, laden das Auto voll und dann wandern wir noch einmal die Promenade entlang. Die Sonne scheint warm! Wir können uns nur ganz schlecht trennen von so viel nördlicher Schönheit. Auf der Fahrt ein letztes Fischbrötchen, dann verlassen wir die Insel. …

15.September, Sonntag

Rückkehr nach München

Ingrid Leitner

PS: Sollten Sie das vollständige Reisetagebuch lesen wollen, melden Sie sich im Büro. Moni Kremer schickt es Ihnen gerne zu.