Das Gesetz zur Einrichtung und zum Betrieb eines bundesweiten Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“
(Hilfetelefongesetz)
Ehrenmorde, Minderjährigenehen oder weibliche Beschneidungen mögen für unseren Kulturkreis fremde Bräuche sein und als Ausfluss einer gegenüber Frauen ausgeübten Gewalt angesehen werden, doch auch unserer Gesellschaft ist Gewalt, auch sexueller Natur, gegen Frauen nicht fremd: die unzähligen Frauenhäuser oder sonstigen Anlaufstellen legen davon ein beredtes Zeugnis ab und stellen doch nur einen Teilbereich dar. Gerade in diesem Bereich dürfte die Dunkelziffer nämlich enorm hoch sein.
Das Thema Gewalt stellt sich dabei für Frauen und Mädchen mit Behinderung in besonderem Maße, da sie sich zum einen weniger effektiv wehren können und zum anderen situationsbedingte Abhängigkeitsverhältnisse, wie Pflege oder Betreuung, Gewaltübergriffe begünstigen.
Eine im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (im folgenden der Einfachheit halber Familienministerium genannt) durchgeführte Studie der Universität Bielefeld bestätigt diese These und kommt zu dem ernüchternden Befund, dass Frauen mit Behinderung fast doppelt so häufig wie nicht behinderte Frauen körperliche Gewalt erleiden und zwei- bis dreimal so häufig sexueller Gewalt zum Opfer fallen.
Vor diesem Hintergrund ist das Gesetz zur Einrichtung und zum Betrieb eines bundesweiten Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ vom 7. März 2012 gerade für Frauen mit Behinderung von besonderem Interesse.
Nach dem Gesetzestext und den in diesem Zusammenhang vom Familienministerium veröffentlichten Mitteilungen ist das mit dem Gesetz neu geschaffene Hilfetelefon nicht lediglich als eine weitere Möglichkeit für von Gewalt betroffene Frauen gedacht, die ohnehin bereits auf ein dichtes Netz von Unterstützungseinrichtungen zurückgreifen können. Da nichtsdestotrotz viele Frauen mit Gewalterfahrungen den Weg zu diesen Einrichtungen nicht finden, soll mit dem Hilfetelefon vielmehr ein niedrigschwelliges Hilfsangebot und eine Anlaufstelle mit Erstberatungs-, Informations- und Lotsenfunktion geschaffen werden. Dementsprechend ist das Hilfetelefon auch nicht nur für von Gewalt betroffene Frauen selbst gedacht, sondern auch für Menschen aus ihrem sozialen Umfeld und Personen, die beruflich oder ehrenamtlich gewaltbetroffene Frauen beraten und unterstützen.
Die Ausgestaltung des Hilfetelefons trägt der eben geschilderten Konzeption und dem angesprochenen Personenkreis in mehrfacher Weise Rechnung.
Zunächst werden dazu die technischen und personellen Grundvoraussetzungen geschaffen: Das Hilfetelefon ist bundesweit rund um die Uhr und entgeltfrei erreichbar, Anrufe dorthin werden in etwaigen Einzelverbindungsnachweisen nicht ausgewiesen (Was von erheblicher Bedeutung ist, wenn ansonsten beispielsweise Familienangehörige nachvollziehen könnten, dass Hilfe gesucht wurde und dies „ahnden“ oder für die Zukunft unterbinden könnten) und die Angebote des Hilfetelefons sollen ohne unzumutbare Wartezeiten in Anspruch genommen werden können (Man stelle sich die von Gewalt bedrohte, im verschlossenen Badezimmer Schutz suchende Frau vor, die in der Warteschleife des Hilfetelefons „hängt“, während die Badezimmertür aufgebrochen und sie Opfer der Gewalt wird!).
Eine Annahme des neu geschaffenen Hilfetelefons setzt aber vor allem Vertrauen bei denjenigen voraus, die es in Anspruch nehmen sollen. Deshalb erfolgen die Beratungs- und Hilfeleistungen anonym und vertraulich und durch qualifizierte weibliche Fachkräfte, wobei personenbezogene Daten nur mit Einwilligung erhoben und verarbeitet werden. Die Einrichtung und Pflege einer Datenbank bestehender Einrichtungen und Dienste flankiert dies.
Eine letzte Gruppe von Vorschriften im neuen Hilfetelefongesetz betrifft dann eine größtmögliche Zugänglichkeit im weiteren Sinn. So soll das Hilfetelefon durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit bekannt gemacht und bekannt gehalten werden. Außerdem sollen die Angebote mehrsprachig und barrierefrei sein sowie zusätzlich über andere Wege der elektronischen Kommunikation angeboten werden.
Bis voraussichtlich Ende 2012 soll das Hilfetelefon freigeschaltet werden. Mit der Inbetriebnahme dieses Dienstes ist die Entwicklung aber keineswegs abgeschlossen, denn nach dem am 14. März in Kraft getretenen Gesetz erstellt das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA, das frühere Bundesamt für den Zivildienst) in Köln, bei dem das Hilfetelefon eingerichtet wird, auch jährlich Sachstandsberichte über die Inanspruchnahme des Hilfetelefons, so dass gegebenenfalls Anpassungen und Änderungen vorgenommen werden können. Das Familienministerium bewertet dann erstmals fünf Jahre nach Freischaltung des Telefons dessen Wirksamkeit.
So weit, so gut.
Weniger aufschlussreich war eine im Zusammenhang mit der Recherche für diesen Artikel gestellte Nachfrage beim für die nähere Ausgestaltung zuständigen Familienministerium, wie die Barrierefreiheit der Hilfsangebote beim Hilfetelefon aussehen wird. Nach Angaben des Ministeriums seien die technischen Einzelheiten diesbezüglich noch nicht beschlossen, die Angebote des Hilfetelefons würden aber auf jeden Fall von Beginn des Betriebes an auch von behinderten Frauen zu nutzen sein und es würden derzeit alle marktüblichen Produkte, die "Barrierefreiheit" gewährleisten, eingehend geprüft. Was anderes sollte man aber angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts erwarten? Da das Hilfetelefongesetz Barrierefreiheit ausdrücklich und zwingend vorschreibt, wäre jede andere Vorgehensweise contra legem, also gesetzwidrig! Etwas genauere Auskünfte wären hier durchaus wünschenswert gewesen.
So bleibt letzten Endes nur die Möglichkeit, die vorzunehmende Ausgestaltung der Barrierefreiheit aufmerksam und gegebenenfalls kritisch zu begleiten.
Anknüpfungspunkte für eine solche Ausgestaltung gibt es genügend: so stellten erst am 13. März (also einen Tag vor Inkrafttreten des Hilfetelefongesetzes) drei bundesweit tätige Frauenverbände einen Leitfaden für den Erstkontakt von gewaltbetroffenen Frauen mit Behinderung vor, der speziell für Mitarbeiterinnen in Frauenhäusern, Frauenberatungsstellen, Frauennotrufen und Interventionsstellen erstellt wurde.
Wolfgang Vogl