Seit einiger Zeit machen die Architektenkammern bundesweit am letzten Juniwochenende in sogenannten Architektouren gerade fertig gestellte öffentliche und private Bauvorhaben einem breiteren Publikum im Rahmen von Führungen zugänglich – dieses Jahr am 25./26. Juni. Diese Veranstaltungen verschaffen nicht nur einen Überblick über die aktuelle Bautätigkeit und entsprechende Trends, sondern ermöglichen so auch eine Auseinandersetzung mit zeitgenössischem Bauen und dessen permanente Fortentwicklung.
Nachdem in Deutschland bereits vor mehr als zwei Jahren die Behindertenrechtskonvention in Kraft getreten ist und deren Artikel 9 insbesondere eine Zugänglichkeit von Gebäuden, Straßen und Transportmitteln anstrebt, stellt sich die Frage, inwieweit sich die dortige Festlegung auf eine barrierefreie Umwelt in aktuellen Bauvorhaben widerspiegelt. Dazu habe ich mir drei öffentliche Bauvorhaben angesehen:
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Nussbaumstr.5a
Dieser an einen bestehenden Altbau anschließende Neubau einer Klinik wurde im September/Oktober 2010 bezogen und ist mittlerweile zu 100 % belegt. Ausstattung und Aufteilung des Hauses vermitteln eher den Eindruck eines gediegenen Wohnhauses oder Hotels als einer psychiatrischen Klinik: Die Stationen sind mit Parkettböden ausgelegt, der bei den einzelnen Zimmern eine Schwelle allenfalls im Millimeterbereich aufweist, die Duschen im Badezimmer der Patienten kommen ohne Stufe aus und die Fenster sind nicht etwa vergittert. Vielmehr beugt eine hinter der zu öffnenden Fensterscheibe in geringem Abstand zusätzlich angebrachte Scheibe einer etwaigen Suizidgefahr vor und ermöglicht dennoch eine Belüftung des Raums. Dieser sehr positive Eindruck wird bei einer Begehung jedoch etwas getrübt. So weist das Treppenhaus nur einen einseitigen Handlauf auf, der Zugang zur Terrasse im 4. Obergeschoss erfolgt nur über eine hohe Stufe ohne Möglichkeit zum Festhalten und wenn man die Tür zum Turnsaal im Untergeschoss öffnet, muss man erst fünf (!) Stufen ohne Geländer nach unten bewältigen, bevor man im Saal ist. Mobilitätseingeschränkte Patienten, Mitarbeiter oder Besucher werden an dieser Einrichtung also nicht nur Freude haben.
U-Bahnhof Moosach
Im Zuge der Verlängerung der U-Bahnlinie 3 nach Moosach wurde im Dezember 2010 der U-Bahnhof Moosach als 100. U-Bahnhof des Münchner Verkehrsnetzes eingeweiht. Der von Martin Fengel künstlerisch ausgestaltete Bahnsteigbereich beeindruckt durch riesige Fotografien von Blumen, die als Digitaldrucke die Aluminiumpaneele der Wände bedecken und auf diese Weise einen Bezug zu Moosach als Schnittstelle zwischen Stadt und Umland herstellen. Zugang zur und Ausgestaltung der U-Bahnhaltestelle ist, soweit ersichtlich, barrierefrei: Aufzüge von der Oberfläche ins Zwischengeschoss bzw. auf den Bahnsteig und Treppen mit beidseitigem Handlauf oder in beide Richtungen fahrende Rolltreppen ermöglichen allen einen problemlosen Zugang – lediglich eine Beschilderung an der S-Bahnhaltestelle Moosach fehlt, wo man von dort zur U-Bahn gelangt. Wer sich da nicht vorher ortskundig gemacht hat, geht leicht verloren …
Referat für Bildung und Sport der Landeshauptstadt München
Jeder, der in letzter Zeit vom Münchner Hauptbahnhof mit dem Zug abgefahren ist, dem wird – gleich zu Beginn – auf der linken Seite ein sehr lang gestrecktes Gebäude mit einer auffälligen Fassade ins Auge gesprungen sein: der Neubau des Referats für Bildung und Sport der Landeshauptstadt München.
Dieser sechsstöckige Bau wurde im Sommer 2010 fertig gestellt und ist an die Verwaltungsbauten an der Bayerstraße aus den siebziger Jahren angebaut, in denen unter anderem das Verwaltungsgericht oder das Versorgungsamt untergebracht sind. Doppelte Handläufe in den Treppenhäusern, Türöffner in den einzelnen Etagen und ein stufenloser Zugang zum Gebäude machen einen sehr positiven Eindruck. Jedoch: die weitläufige und mit ihren Sitzbänken wohl auch für die Mitarbeiter gedachte Dachterrasse mit einem atemberaubenden Blick über München ist nur über zwei hohe Stufen erreichbar und damit Rollstuhlfahrern verwehrt – wenn nicht eine andere barrierefreie Zugangsmöglichkeit bestehen sollte, die bei diesem Rundgang nicht ersichtlich war.
Wolfgang Vogl