so lautete der Slogan in Italien zu Gunsten einer Stärkung von Rechten behinderter Menschen, auch im Zusammenhang mit der dortigen Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention. Und ein wichtiger Bestandteil des Lebens ist die Erholung, die Möglichkeit auszuspannen und die Seele baumeln zu lassen. Deshalb möchten wir in loser Folge davon berichten, wie man auch mit unterschiedlichen Einschränkungen die Welt entdecken kann. Gregor Cordes beginnt mit einem Bericht über eine Indienreise für blinde und sehbehinderte Menschen, die naturgemäß so reich an Eindrücken war, dass der folgende Bericht davon nur einen Ausschnitt darstellen kann.
Abenteuerreise in das Land wo der Pfeffer wächst
... zu diesem Motto treffen sich an einem Sonntag im November 2010 kurz nach Mitternacht 10 reiselustige Blinde und Sehbehinderte aus ganz Deutschland am internationalen Flughafen Dubai.
Gemeinsam mit dem Reiseveranstalter Vision Outdoor e. V. aus Bielefeld treten wir die Weiterreise an die südwestliche Spitze des Subkontinents Indiens in den Bundesstaat Kerala an, wo wir die nächsten 14 Tage verbringen werden. Vision Outdoor ist mit drei Personen vertreten. Nina, die schon viele Male Indien bereiste, lieferte die Ideen für diese Tour und hat die Leitung übernommen. Marieke und Arpana sind als sogenannte Teamer von Vision Outdoor dabei. Sie werden als Begleitassistenz für die blinden und sehbehinderten Teilnehmer zur Verfügung stehen. Schnell haben sich die Teamer und Reiseteilnehmer untereinander organisiert und das hektische Treiben am Flughafen in der indischen Metropole Trivandrum ist bewältigt: das Reisegepäck im Bus verstaut, und die Gäste haben einen Platz im Bus gefunden, der uns an die erste Etappe dieser Tour, in das zwei Autostunden nördlich von Trivandrum gelegene Warkala bringt.
Dieser bei der überwiegend hinduistischen Bevölkerung berühmte Wallfahrtsort zeichnet sich durch seine Lage am Arabischen Meer aus und bietet viele Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. So erkunden wir gemeinsam oder in Dreier-Gruppen aufgeteilt den Strand, bummeln entlang der Kliff-Promenade mit ihren vielen kleinen Geschäften, besichtigen Tempelanlagen und baden im Meer. Auch die in diesem Landesteil berühmten Ayurvedischen Massagen dürfen natürlich im Angebot nicht fehlen. Begehrt sind kleine Pausen, bei denen der schmackhafte Massalla Chai (Gewürztee) genossen wird. Und wo von der Reisegruppe gewünscht, ist ein Teamer mit dabei, so dass bei Bedarf hilfreiche Assistenz zum Ermöglichen der Aktivitäten gegeben ist. In unserem kleinen Hotel hoch oben auf dem Kliff verwöhnen uns Brigida und Naveen, die dieses Haus führen, mit der abwechslungsreichen Küche Indiens.
Ein Tagesausflug auf einem Boot durch die Lagunen- und Seenlandschaft der Backwaters bleibt ein beeindruckendes Erlebnis. Ein jeder setzt seine verfügbaren Sinne ein und lauscht der Natur, riecht und schnuppert an den Blüten der Pflanzen und tastet viele Gegenstände ab, um Strukturen, Formen und Oberflächentemperaturen aus der Natur und dem indischen Alltag kennen zu lernen. Nina, Arpana und Marieke haben dabei einen geschulten Blick, um zu erkennen, was typisch ist für dieses Land und bringen es uns nahe. Der Besuch auf einer Elefantenfarm ermöglicht den direkten und engen Kontakt mit diesen beeindruckenden Dickhäutern. Nach der Fütterung mit Bananen, die sich die Elefanten mit ihren Rüsseln aus den Händen der Reiseteilnehmer greifen, steht einem Ritt auf diesen mächtigen Tieren nichts mehr im Wege.
Viel gehört hat man von den erlebnisreichen Zugfahrten in Indien. So nutzen auch wir dieses traditionsreiche Verkehrsmittel, um in die rund 200 km entfernte Wirtschaftsmetropole Kochi zu reisen, wo wir zwei Tage verweilen werden. Während der Zugfahrt ergeben sich viele Möglichkeiten, mit anderen Fahrgästen in Kontakt zu kommen. Ständig bieten fliegende Händler lautstark ihre Produkte feil. Nicht wenige der Reiseteilnehmer nutzen die Möglichkeit, auf diese Art und Weise einen Chai oder typischen indischen Snack zu erwerben.
In Kochi erfahren wir Wissenswertes über die Funktionsweise der einzigartigen, fest am Kai montierten chinesischen Fischernetze, erkunden das faszinierende Judenviertel mit seinen vielen kleinen Geschäften und wandern auf den Spuren des portugiesischen Seefahrers Vasco da Gama, der hier Ende des 15. Jahrhunderts als erster Europäer landete. Und immer findet sich eine Möglichkeit, bei einer Tasse Massala Chai das quirlige Treiben der Bevölkerung zu beobachten. Entlang an kilometerweiten Kokos- und Kautschukplantagen fahren wir schließlich mit einem Kleinbus in das bergige Hinterland nach Munnar.
Dieses auf 1520 m Höhe gelegene Städtchen liegt am westlichen Rand des zweithöchsten Gebirges Indiens, den Westghats, und ist umsäumt von Tee- und Kaffeeplantagen. Unsere Teamer beschreiben die Farbspiele der Landschaft, in der sich die grünen Bänder der Plantagen aus den Tälern bis hinauf in die Hochlagen erstrecken, hier und da durchbrochen von tosenden Wasserfällen und rauschenden Bächen. Es muss ein wunderschöner Ausblick sein. Ebenso beschreiben sie, wie Frauen mühsam in Handarbeit die Teeblätter pflücken. In Munnar werden wir uns ebenfalls ein paar Tage aufhalten. Wir befinden uns in einer der regenreichsten Gegenden der Erde und auch die Temperaturen sind mit 15 Grad nicht einmal mehr halb so hoch wie an der Küste. Doch hält dies nicht davon ab, mit ausgedehnten Wanderungen entlang der und durch die Teeplantagen diese einzigartige Landschaft zu erfassen. In dieser Region gedeihen Gewürzpflanzen besonders gut und üppig. Der Besuch in einem Gewürzgarten ermöglicht das Kennenlernen vieler bekannter Gewürze in natura. So lassen sich die Wurzeln von Ingwer und Kurkuma ergreifen, die Rinde des Zimt und die frischen Schoten der Vanille ertasten. An vielen Blättern und Blüten der verschiedensten Pflanzen wird gerochen und gerieben. Spätestens hier ist es den Reisenden bewusst, dass sie in dem Land sind, wo der Pfeffer wächst. Das Geheimnis der indischen Küche mit ihren Gewürzen lüftet jeden Abend ein wenig mehr der Koch unseres Hotels, der zum Besuch seiner Cooking class einlädt. Verteilt um den zentralen Herd der Vorführküche, hören wir interessiert den Künsten des Küchenchefs zu, der im Detail die Zubereitung eines Massalla-Gerichtes erklärt. Die Verköstigung darf anschliessend natürlich nicht fehlen und lockt immer wieder ein bestätigendes hmmm heraus.
Aber auch die Zeit in Munnar geht mit dem Besuch eines nahe gelegenen Nationalparks zu Ende. Der Weg führt nun mit dem Kleinbus auf indientypischen Straßen zurück nach Varkala. Es ist eine strapaziöse Fahrt, die zeitweise mit weniger als 20 km/h auf von Schlaglöchern übersäten oder vom Monsun überschwemmten und dadurch beschädigten Pisten führt. Es ist höchste Konzentration vom versierten Busfahrer gefordert, der zudem immer das chaotische Fahrverhal-ten der anderen Verkehrsteilnehmer im Blick halten muss. Wenn wir den Verkehr auch nicht mit Augen wahrnehmen können, das Hupkonzert auf den Straßen, ob von der Rikscha oder dem Lkw, entgeht auch uns nicht. So sind wir nach über 10 Stunden Fahrt froh, die rd. 250 km bis zu unserem bekannten Hotel auf dem Kliff in Varkala unversehrt geschafft zu haben. Hier neigt sich die Reise dem Ende entgegen. Es gibt die letzte Möglichkeit, in Kleingruppen nochmals die Strandpromenade zu besuchen, ein letztes Bad im warmen arabischen Meer zu nehmen, eine ayurvedische Massage zu genießen, Yoga zu machen, oder einfach nur dem Treiben der Inder beizuwohnen.
Schwer fällt der Abschied, in Deutschland, hören wir, hat es geschneit. Aber daran mag noch keiner denken. Auch in den letzten Stunden stehen die Teamer wieder mit Rat und Tat zur Seite. Die Zimmer werden geräumt, und es wird Abschied von den in Warkala kennen gelernten Indern genommen. Erst in Dubai trennen sich die Wege der Reisenden in die verschiedenen Regionen nach Deutschland. Nun heißt es auch vom Team von Vision Outdoor Abschied zu nehmen, die uns so tatkräftig unterstützt haben, sei es bei der Begleitung auf den vielen unbekannten Wegen, beim Einkauf in den Souvenirläden oder der Assistenz bei vielen anderen kleinen Dingen des Alltags.
Für mich ist es nach Kanada und Südafrika die dritte Fernreise mit Vision Outdoor. Ich habe jedes Mal eine 1:2 Begleitung gebucht, was bedeutet, dass ein Teamer zwei blinden oder sehbehinderten Reiseteilnehmern Assistenz bietet. Der hierfür zu entrichtende Aufpreis ist gerechtfertigt - bietet sich doch eine tolle Möglichkeit für Menschen mit Sinneseinschränkung, unsere wunderbare Erde kennen zu lernen.
Gregor Cordes
Anmerkung der Redaktion:
Blinde und Sehbehinderte können gegen Aufpreis bei Vision Outdoor je nach Bedürfnis eine gegebenenfalls erforderliche Assistenz mitbuchen: bei einer 1/1 Begleitung leistet eine sehende Person einem blinden Reiseteilnehmer Assistenz, bei der von Herrn Cordes angesprochenen 1/2 Begleitung ist ein Sehender hingegen für zwei blinde/sehbehinderte Teilnehmer zuständig. Daneben kann die Reise selbstverständlich auch zu einem geringeren Preis ohne Begleitung gebucht werden – wenn beispielsweise ein sehender Partner mitreist.