Goldene Ringellöckchen, eine schlanke Figur, jugendliche Bewegungen – das ist unsere Frau Wufka – und wer mit ihr per Du ist, darf sie Lisbeth nennen! Frau Wufka ist das, was man etwas klischeehaft die Seele des Schwabinger CBF-Büros nennen könnte. Bei ihr aber trifft es zu, denn sie weiß alles, macht alles, sie pflegt einen guten, bewussten Umgang mit Menschen und löst Schwierigkeiten rasch und wirkungsvoll. „Seid i bei da Kirch garbat hob, is mir nix Menschliches fremd!“ pflegt sie zu sagen, wenn sie wieder einmal vor einer reichlich merkwürdigen Aufgabe steht oder es mit einer etwas schwer erträglichen Person zu tun hat.
Nehmen wir einen x-beliebigen Montag. Alle Montage sind verschieden und doch sind alle gleich, denn gerade am Montag ist im Clubbüro der Teufel los. Der Andrang ist so groß, dass man vermuten muss, alle unsere Klienten hätten sich am Wochenende verschworen, am Montag gleich in aller Früh anzurufen, oder vorbeizuschauen! Frau Wufka kommt extra zeitig, aber die Anrufe kommen noch früher! Ein Zivi soll die Küche bei ihr malern, sagt eine unserer Kundinnen. Aber Frau Wufka hat die beiden Zivildienstleistenden schonfür die ganze Woche verplant, und zwar mit Hilfeleistungen bei unseren Stammkunden. Da ist es schwierig, gleichzeitig Sonderwünsche zu erfüllen. Diese Woche geht es also nicht, aber nächste. Frau Wufka erklärt und bedauert. Die Kundin hätte den Zivi aber unbedingt gern morgen gehabt! Sie hängt enttäuscht ein. Frau Wufka seufzt tief. Sie würde ja so gerne alle Wünsche umgehend erfüllen. Aber wir können unsere Zivis nicht klonen. Außerdem werden wir bald gar keine mehr zur Verfügung haben, nur freiwillige Helfer und eventuell junge Leute aus dem Freiwilligendienst. Wie viele davon sich bei uns melden, ist die Frage – für die ganze Bundesrepublik gibt es nur mehr 35.000. Und das soll ein Ersatz sein für 90.000 Zivildienstleistende! Dabei wären die Zivis auch weiterhin so gut aufgehoben an Frau Wufkas großherzigem Busen. Denn sie setzt sie vernünftig ein, tröstet sie auch bei persönlichen Problemen, versteht sie gut, weil sie selber einmal halberwachsene Kinder hatte, lobt kräftig und tadelt mild – eine heilige Elisabeth des Zivildienstes sozusagen – die zwar keine Rosen verteilt, aber mütterliche Fürsorge und gelegentlich ein Paar Weißwürste.
Die Zivis, ihre Betreuung und ihr Einsatz, sind nicht die einzige Aufgabe von Frau Wufka. Sie bestellt Räume für Clubabende, gibt Termine weiter, bereitet alles vor für Feiern, Versammlungen, Treffen. Wenn beispielsweise unser Sommerfest vorbereitet werden muss, schickt sie Helfer zum Bäcker, zum Getränkemarkt, oder geht auch selber einkaufen. Sie stellt die Verbindung zu den auftretenden Künstlern her, denn wir wollen unseren Mitgliedern ja gelegentlich was Erfreuliches, Erheiterndes bieten. Bei Clubsitzungen schreibt sie Protokolle und bringt ein Sträußchen für den Tisch mit, manchmal sogar aus ihrem blumenreichen Schreber- Garten. Und, und, und....
Inzwischen sind auch Gabi Krüger und Carola Walla im Büro eingetroffen.
Frau Krüger (die dunkelbraunen Haare zu einem lustigen Dutt aufgesteckt!) geht mit Frau Wufka gleich die Handkasse durch und bespricht Buchführungsangelegenheiten. Es ist Anfang des Jahres, haben alle Mitglieder ihren Beitrag für 2010 bezahlt?
Frau Walla (gepflegtes graues Haar und Lila steht ihr besonders gut!) hat sich inzwischen nebenan niedergelassen. Ihr Büro liegt voller Schreiben, Spezialzeitschriften, Konzepten und Broschüren. Denn Frau Walla vertritt den CBF im Münchner Behindertenbeirat, dem sie lange Zeit vorstand. Sie pflegt politische Kontakte, Kontakte zu befreundeten Vereinen, oder zu den für uns wichtigen kommunalen, landes- und bundespolitischen Personen, Ämtern und Ministerien. Meistens aber ist sie in Sachen „Barrierefreiheit“ unterwegs, denn das ist nach wie vor eines unserer wichtigsten Anliegen. So wie kürzlich in Kopenhagen oder Brüssel, wo es um die barrierefreie europäische Stadt ging.
Heute ist sie mit einem Rollstuhlfahrer verabredet, der wieder einmal Probleme mit dem Bezirk Oberbayern hat. Warum soll sein Zuschuss gekürzt werden? Sie berät mit ihm das notwendige Vorgehen. Sie ist überhaupt unsere wichtigste Beraterin bei Problemen behinderter Menschen: hilft bei Anträgen, assistiert, wenn die Krankenkassen jemanden zu einem Behinderten schicken, um die Pflegestufe zu überprüfen, begleitet schüchterne Menschen vor Gericht, tröstet, informiert, hilft weiter. Es gibt nichts Sozialpolitisches, was sie nicht weiß.
Inzwischen hat Frau Wufka einen Zivi in die Waschküche im Keller unseres Hauses, Johann-Fichte-Straße 12, geschickt, damit er die Bettwäsche für unsere Ferienwohnung in die Waschmaschine steckt. Morgen kommen neue Gäste!
Kennen Sie übrigens die Räumlichkeiten, in denen sich alles, was ich hier schildere, abspielt? Damit Sie sich’s besser vorstellen können: Wenn Sie das 5-stöckige Wohnhaus an der Johann-Fichte-Straße 12 betreten, befinden Sie sich in einer großen Halle, die im Winter vollgestellt ist mit all den Pflanzen, die keinen Frost vertragen. Sie befinden sich also mitten in einem großen Botanikum. Links davon der Eingang zu unserem Büro. Wenn Sie eintreten, sehen sie wiederum links die beiden Büroräume und das Besprechungszimmer. Gegenüber die kleine Küche und die Toilette, und daran vorbei gelangen Sie eben zu unserem Ferienapartment.
Die Behinderten, die diese Ferienwohnung für wenig Geld mieten, um München zu besichtigen, machen uns Freude, Arbeit und manchmal auch Schwierigkeiten – gelegentlich sogar Angst: Erst kürzlich war ein Gast aus dem Bett gefallen. Die Büromannschaft fand ihn am Morgen. Er war die ganze Nacht neben dem Bett gelegen und konnte nicht mehr hineinklettern. Gottlob hat er es lebend überstanden! Übrigens kommen behinderte Menschen aus der ganzen Bundesrepublik zu uns. Aber auch aus Amerika, England, Kroatien und den arabischen Staaten. Da müssen stets die Betten neu bezogen und die Räume gereinigt werden. Das Team muss Rechnungen schreiben, Ratschläge geben, Auskünfte erteilen und immer freundlich sein! Dieses Ferien-Angebot ist aber auch für uns vorteilhaft, weil Geld reinkommt und die Ferienwohnung sich beinahe selber trägt. Aber eben nur beinahe! Größere Anschaffungen wie neue Bettwäsche, Matratzen, oder die Renovierung des Apartments können wir uns nur mit Hilfe von Spenden leisten. Denn höhere Preise können unsere Gäste nicht bezahlen. Wenn sie reich wären, würden sie im Hilton Hotel wohnen!
Jetzt ist auch Hanne Kamali eingetroffen - klein, dunkelhaarig, flink und stets zu jeder Hilfe bereit, egal, ob sie einen Zucchini-Kuchen für unser Jahresausklangsfest backen, einkaufen, Werbung verteilen, Geburtstagsbriefe schreiben soll. In der Hauptsache aber leitet sie unser derzeit wichtigstes Projekt – ein umfangreiches Verzeichnis behindertengerechter Arztpraxen in und um München. Damit behinderte Menschen auch einmal einen Arzt finden, zu dem sie auch mit dem Rollstuhl in die Praxis gelangen können. Das Projekt läuft bereits 3 Jahre und wir beschäftigen circa 10 freie Mitarbeiter, die Arztpraxen abtelefonieren, sie aufsuchen und ausmessen.
Heute aber sucht Frau Kamali unseren Leihrollstuhl. Er ist vergangene Woche zurückgekommen – eine schwangere Frau hatte ihn gebraucht –, aber seit längerem schon ist er etwas ramponiert, sodass er endlich in die Werkstatt muss. Auch unser Dienstfahrrad, mit dem die ganze Belegschaft Dienstfahrten erledigt, müsste überholt werden. Oder wir brauchen ein Neues. Überhaupt – das liebe Geld! Unser Kopierer gibt immer wieder den Geist auf. Das ist kein haltbarer Zustand. Auch da täte uns eine Spende gut!
Und wieder geht das Telefon. Diesmal ist es eine unserer langjährigen Kundinnen, schwerbehindert, die sich seit 3 Jahren von „Essen auf Rädern“ ernährt. Natürlich ist diese Kost gesund und abwechslungsreich, aber es ist eben immer dasselbe. Sie hätte so gerne mal wieder eine Pizza vom Italiener, und zwar morgen, wenn das ginge. Frau Wufka verspricht, sich morgen, gegen Mittag, auf unser Dienstfahrrad zu schwingen und die Pizza vorbeizubringen. Das und ähnlich persönliche Dinge gehören ebenfalls zu den Dienstleistungen, die wir oft und gerne anbieten, denn das leistet kein ambulanter Pflegedienst und gerade diese kleinen Annehmlichkeiten bringen ein wenig Freude und Lebensqualität in den manchmal dürftigen und grauen Alltag behinderter Menschen.
Was also ist unser Büro? Ein Mittelding aus Auskunfts- und Hilfsagentur, Psycho-sozialem Dienst, Feuerwehr, Leihbüro, Sammel- und Verteilstelle für Probleme und deren Lösung, für Waren und Menschen. Organisationszentrum auch für die Bewohner des Hauses „Johann- Fichte-Straße 12“, die zum Teil ebenfalls zu unseren Helfern oder Kunden gehören. Gerade kommt der Postbote. Er liefert die Päckchen für die, die er nicht in ihren Wohnungen angetroffen hat, bei uns ab. Das Telefon klingelt unablässig. Einer unserer Kunden findet den neuen Zivi sehr tüchtig und freundlich. Das hören wir natürlich gerne. Dann fragt eine Münchner Zeitung an, ob wir einen Rollstuhlfahrer wüssten, der mit ihnen einen Rundgang durch die Stadt macht für eine Fotoreportage: „Ist München so behindertenfreundlich, wie die Stadt selber immer behauptet?“ Frau Wufka telefoniert herum und findet rasch jemanden, der da mitmachen möchte.
Der Redakteur unserer Clubzeitung meldet sich. Er will wissen, ob die Ausgabe für März in dieser Woche noch rausgeht. „Ja“, Gabi Krüger nickt. Ein Zivi könnte morgen die Exemplare, die mit der Post verschickt werden, eintüten. Inzwischen ist eine Rollstuhlfahrerin mit einem großen Hund im Schlepptau eingetroffen. Jetzt ist das Büro endgültig überfüllt. Aber Herrin und Hund versprechen, ein andermal wiederzukommen. Es geht um das Pflegegeld, das plötzlich gekürzt werden sollte. Ein Fall für Frau Walla also.
Inzwischen hat einer die Gemüsesuppe aufgewärmt, die es heute Mittag zu essen gibt. Alle setzen sich aufatmend an den großen Tisch im kleinen Besprechungszimmer. Eine Verschnaufpause. Aber die Fragen gehen nicht aus: Für die Teilnahme an der Freiwilligenmesse fehlt noch ein Blickfang. Wie wäre es mit dem Rollstuhl, auf dessen Sitz grüner Rasenund weiße Gänseblümchen wachsen? Er war für eine Installation dekoriert worden und steht noch im Keller.
Außerdem ist kommende Woche Vorstandssitzung. Wer muss noch dazu eingeladen werden? Wer wird Protokoll schreiben? Sind noch genügend Getränke vorhanden? Und wieder läutet das Telefon. Eine Dame hat sich angeboten, an den Wochenenden Behinderte ins Kino, Theater oder Konzert zu begleiten. Sollen wir dieses Angebot in unserer Clubzeitung veröffentlichen? Ein Feriengast bestellt die Wohnung für übernächste Woche. Er hat Glück, da ist sie noch frei! Unser Steuerberater ruft an. Er braucht Unterlagen für den Jahresabschluss.
Und so geht es pausenlos weiter. Gegen Nachmittag wird es ruhiger. Frau Wufka stellt den Anrufbeantworter ein. Lüften, Blumen gießen, die Bettwäsche ist inzwischen trocken, also noch rasch die Betten für die neuen Gäste beziehen. Dann schließt sie das Büro ab. Sie besteigt ihr Fahrrad und auf dem Weg nach Hause geht ihr alles noch einmal durch den Kopf. Hat sie auch nichts vergessen? Es ist mild heute. Während sie durch den Olympiapark radelt, wird sie ruhiger. Der Frühling ist spürbar. Die erste blühende Zaubernuss hat sie schon gesehen. Sie biegt ab in Richtung Schrebergarten. Ihre Oase! Sie will schauen, wie weit die Primeln rausspitzen und ob die ersten Winterlinge schon ihre kugeligen Knospen öffnen.
Ingrid Leitner
Und hier das lustige Fotoshooting - ein Special der Redaktion: