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Am 18.08.2006 trat nach jahrelangen parteipolitischen Querelen und einem letztendlich erfolgreichen Kuhhandel der Großen Koalition endlich das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft, das, verspätet, einige europarechtliche Richtlinien umsetzt, darüber hinaus aber auch einen weiteren, eigenen Regelungsgehalt besitzt.
In technischer Hinsicht erfolgte der Erlass des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes im Rahmen eines so genannten Artikelgesetzes zur Umsetzung der erwähnten europarechtlichen Richtlinien, dessen Artikel 1 das 33 Paragraphen umfassende Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz enthält.

Bereits ein flüchtiger Blick auf den Gesetzestext zeigt den vom Gesetz gesetzten Schwerpunkt, nämlich das Arbeitsrecht: während dem Schutz im Bereich des Arbeitsrechts immerhin dreizehn Paragraphen gewidmet sind (§§ 6 -18), beschränkt sich die Regelung für den zivilrechtlichen Bereich auf insgesamt drei Paragraphen (§§ 19 -21). Eine Schwerpunktsetzung, die nebenbei bemerkt mit derjenigen des Richtliniengebers korrespondiert, so dass Artikel 3 des Umsetzungsgesetzes darüber hinaus überwiegend deutsche arbeitsrechtliche Vorschriften ändert bzw. anpasst.

Nach dem neuen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz wird zunächst ein Benachteiligungsverbot wegen des Geschlechts, der Rasse oder ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Alters, einer Behinderung oder der sexuellen Identität statuiert, das sich arbeitsrechtlich auf zwei große Bereiche erstreckt, nämlich die Einstellung und die Behandlung im Rahmen eines bereits bestehenden Beschäftigungsverhältnisses.

Ersteres betrifft somit Bedingungen, Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen für Erwerbstätigkeiten, letzteres umfasst dagegen sämtliche Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere Entgelte und kollektivvertragliche Bedingungen, Weiterbildung und Umschulung, den Zugang zur Berufsberatung, die Mitgliedschaft in Vereinigungen, den Sozialschutz, soziale Vergünstigungen sowie Bildung und Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen.

Nicht jede Differenzierung beinhaltet jedoch einen Verstoß gegen das AGG. Beispielsweise ist weiterhin die Festsetzung eines Höchstalters bei der Einstellung auf Grund der Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes gerechtfertigt. Ebenso bleiben Fördermaßnahmen zum Ausgleich bestehender Nachteile, also auch Maßnahmen für Behinderte, in Zukunft ebenfalls weiter zulässig.

Schließlich trägt die im Gesetz enthaltene Kirchenklausel dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen Rechnung, indem die Merkmale Religion bzw. Weltanschauung insofern nur eingeschränkt Geltung beanspruchen können.

Betroffene, die sich vom Arbeitgeber bzw. potentiellen Arbeitgeber benachteiligt fühlen, können sich zum einen bei diesem, einem Vorgesetzten oder der Arbeitnehmervertretung beschweren und sogar die weitere Arbeitserbringung verweigern, falls einer Beschwerde nicht abgeholfen wird oder diese offenkundig nur unzureichend behandelt wird. Darüber hinaus gewährt das Gesetz Entschädigung in Form materiellen und immateriellen Schadenersatzes, die allerdings aus Gründen der Rechtssicherheit innerhalb von zwei Monaten nach Kenntniserlangung schriftlich geltend gemacht werden muss. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass Arbeitgeber ständig mit einem nicht absehbaren „Rattenschwanz“ möglicher Ansprüche und damit finanzieller Belastungen rechnen müssen.

Keinesfalls wird der zukünftige Arbeitgeber jedoch zum Abschluss eines Arbeitsvertrags im Falle eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot gezwungen. Die Ablehnung eines Kontrahierungszwangs stellt sich mithin als klare Entscheidung des Gesetzgebers zu Gunsten der Privatautonomie dar, indem eine Verantwortlichkeit des Arbeitgebers letztlich auf den pekuniären Bereich, also das Geld, beschränkt wird. Dies kann zwar nicht den von den Medien befürchteten Bewerbungstourismus zur Erlangung einer Entschädigung im Falle von Verstößen gegen das AGG verhindern, entbindet den Arbeitgeber aber zumindest von der Verpflichtung, mit unliebsamen Kandidaten Arbeitsverträge abschließen zu müssen, was angesichts der Nähebeziehung zwischen Arbeitgeber und -nehmer und dem üblicherweise täglichen Kontakt kaum praktikabel gewesen wäre.

Der arbeitsrechtlichen Ausgestaltung des AGG wurde vereinzelt eine planwirtschaftliche Komponente beigemessen, die vollkommen ungeeignet zur Regulierung des Arbeitsmarktes im Interesse des Arbeitnehmers sei: ebenso, wie das Kündigungsverbot schwangerer Frauen nur dazu geführt hat, dass potentielle werdende Mütter gar nicht erst eingestellt würden, um einem möglichen Konflikt mit dem gesetzlichen Kündigungsverbot von vornherein aus dem Wege zu gehen, würden Arbeitgeber Mittel und Wege finden, das Benachteiligungsverbot zu Lasten der Arbeitnehmer zu umschiffen.
Dies mag auf den ersten Blick recht überzeugend erscheinen, eine Argumentation mit möglichem Missbrauch erscheint aber zumindest dann suspekt, wenn ein Gesetz gerade eben in Kraft getreten ist und jegliche Erfahrungswerte noch fehlen.
Letztendlich kann immer und gegen alles mit dem Argument möglichen Missbrauchs oder möglicher Umgehung argumentiert werden. Wäre es insofern nicht angebrachter, erst einmal die Handhabung des AGG durch die Arbeitgeber abzuwarten, bevor man den vom Gesetzgeber vorgesehenen Schutz in Zweifel zieht?

Dass die neue Rechtslage arbeitsrechtlich einen erheblichen Informationsbedarf nach sich zieht, sei es im Rahmen von Stellenausschreibungen oder sei es bei Einstellungs- oder Auswahlverfahren oder Arbeitszeugnissen, zeigt ein Blick ins Internet: hier wimmelt es von Anbietern, die Arbeitgeber, Betriebsräte, Gleichstellungsstellen oder Anwälte in Seminaren oder Skripten über das neue AGG und damit verbundene Pflichten informieren wollen. Sollte sich dies im Sinne einer Sensibilisierung der betroffenen Kreise im Zusammenhang mit einer Benachteiligung gemäß dem AGG auswirken, so wäre dies bereits ein erster Erfolg dieses Gesetzes …

Neben dem Arbeitsrecht enthält das AGG sodann auch zivilrechtliche Regelungen. In dieser Hinsicht verbietet das AGG jegliche Benachteiligung wegen Rasse oder ethnischer Zugehörigkeit, Alter, Geschlecht, Behinderung, Religion oder sexueller Identität. Erfasst werden insofern aber nur so genannt
Massengeschäfte,d.h. Geschäfte, die in einer Vielzahl von Fällen geschlossen werden bzw. vergleichbare Geschäfte, bei der das Ansehen der Person für den Vertragsschluss nachrangige Bedeutung hat. Hintergrund dieser Regelung ist nach Angaben des Gesetzgebers der Umstand, dass iskriminierungen in diesem Bereich als besonders demütigend empfunden würden und deshalb unterbunden werden müssten. Ebenso erstreckt sich das Benachteiligungsverbot auf privatrechtliche Versicherungen, also beispielsweise eine Kranken- oder Haftpflichtversicherung.

Darüber hinaus gilt das AGG aber nicht im Bereich des Erb- und Familienrechts, tyrannische Familienoberhäupter können also weiterhin die mit einem Ausländer verheiratete Tochter testamentarisch enterben bzw. den homosexuellen Sohn von einer vertraglich vorgesehenen Teilhabe an den Gewinnen des Familienunternehmens ausschließen. Ebenso wenig gilt das Benachteiligungsverbot im Privatbereich sowie im Rahmen einer so genannten Nähebeziehung zwischen den Vertragsparteien.

Der Gesetzgeber selbst nennt hier das Beispiel des Vermieters, der mit dem Mieter auf demselben Grundstück wohnt. Zwei weitere Einschränkungen gelten sodann für den Bereich der Vermietung. Zum einen handelt es sich regelmäßig nur dann um Massegeschäfte im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, wenn der Vermieter mindestens 50 Wohnungen vermietet, zum anderen bleibt es dem Vermieter auch weiterhin gestattet, bei der Auswahl seiner Mieter auf ausgewogene Siedlungsstrukturen zu achten. Allerdings wird der grundsätzliche Schutz des AGG über den Anwendungsbereich hinaus noch ein weiteres Stück relativiert, wenn der Gesetzgeber selbst Einschränkungen aus sachlichen Gründen zulässt. Diese gelten naturgemäß nicht für Benachteiligungen wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft, reichen aber von der Abwehr von Gefahren über den Schutz der Intimsphäre bis zum Schutz der persönlichen Sicherheit und sind zudem nur exemplarisch. Unter dem Deckmantel weiterer sachlicher Gründe, denen Erfindungsreichtum und Phantasie nur geringe Grenzen setzen dürfte, ist somit sanktionierten Benachteiligungen potentiell Tür und Tor geöffnet. Hier sind insbesondere die einschlägigen Verbände aufgefordert, die Gesetzeswirklichkeit kritisch zu begleiten und gegebenenfalls auf Änderungen zu dringen.

Im Falle von Benachteiligungen sieht der Gesetzgeber Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche vor, darüber hinaus aber den Ersatz materiellen und immateriellen Schadens. Wie im Bereich des Arbeitsrechts steht dem Verletzten also auch hier unter Umständen ein ideeller Ersatz für die erlittene Benachteiligung zu, was im Zivilrecht einigermaßen untypisch und im Gesetz auf wenige Ausnahmefälle beschränkt ist, wie beispielsweise die Gewährung von Schmerzensgeld.
Allerdings muss auch hier der Geschädigte einen Schaden innerhalb von zwei Monaten geltend machen. Zu guter Letzt ist hinsichtlich des Inkrafttretens der zivilrechtlichen Benachteiligungsverbote eine weitere Besonderheit zu beachten:
Während Benachteiligungen wegen der Rasse oder der ethnischen Zugehörigkeit bei allen nach Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossenen Verträgen verboten sind und gegebenenfalls sanktioniert werden, ist maßgeblicher Zeitpunkt für Benachteiligungen wegen eines der sonstigen Kriterien ein Vertragsschluss ab dem 1. Dezember 2006. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist daher nur ein unvollständiges Schutzniveau erreicht. Die Erfahrung lehrt schließlich, dass eingeräumte Rechte nur dann einen effektiven Schutz gewähren, wenn ihre Garantie mit einem wirkungsvollen Sanktionsmechanismus korreliert, anders ausgedrückt bleiben die schönsten Garantien und Rechte Schall und Rauch, wenn sie nicht entsprechend von den möglicherweise Verletzten geltend gemacht werden können.
Daher darf die im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz enthaltene Beweislastumkehr nicht unterschätzt werden. Sie besagt nicht schon, dass allein die Behauptung, es würden, beispielsweise, Farbige von einem Arbeitgeber wegen ihrer Rasse „aussortiert“, zu einer Umkehr der Beweislast führt. Vielmehr müssen Indizien dargelegt und bewiesen werden, die eine solche Benachteiligung vermuten lassen. Dies können Äußerungen besagten Arbeitgebers im Rahmen eines Bewerbungsgesprächs sein. Der seinerzeitige Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes hat ebenso hohe Wellen geschlagen wie nunmehr das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Vom Bürokratiemonster über Konjunkturbremse bis hin zum Meilenstein für Behinderte gingen die ersten Urteile.

Behindertenverbände beurteilen das Inkrafttreten des AGG einhellig als positiv. Ob das AGG aber wirklich einen Meilenstein für Behinderte oder generell im Interesse eines Schutzes vor Benachteiligungen darstellt, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch gar nicht beurteilt werden. Hier wird erst die Praxis zeigen, wie das Gesetz angenommen und gelebt wird. Andere Verbände kritisieren das Gesetz hingegen wegen eines Eingriffs in die Privatautonomie, wenn „unappetitlich aussehende Behinderte“(Was sind im übrigen unappetitlich aussehende Behinderte? Behinderte per se? Wird hier nicht schlicht und einfach das „gesunde Volksempfinden“ missbraucht?) nicht mehr des Lokals verwiesen werden können, wie es bisher dem Gastwirt in Ausübung seines Hausrechts möglich war. Gesetzt den Fall, derselbe Gastwirt verwiese auch Juden des Lokals, weil diese ebenfalls unerwünscht sind, wäre der Ruf nach Privatautonomie vielleicht weniger laut. Gerade im Bereich der Massegeschäfte sollen Ungleichbehandlungen ja auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Diese Entscheidung sowohl des europarechtlichen Richtlinien- als auch des deutschen Gesetzgebers darf nicht einfach vernachlässigt werden. Darüber hinaus bietet das Zivilrecht genügend Möglichkeiten, um einen Missbrauch zu verhindern, sei s auf dem Wege der Nichtigkeit sittenwidrigen Handelns, sei es über das zivilrechtliche Schikaneverbot oder notfalls nach Treu und Glauben. Die angebliche Sorge um den Erhalt der Privatautonomie überzeugt mithin nicht, sondern stellt sich vielmehr als Ausdruck einer Angst vor unliebsamen Vertragspartnern dar. Aber ist diese wirklich schützenswert?

Wolfgang Vogl