Von seinen Erfahrungen mit der Krankheit, mit den Ärzten und der Medizin, mit den Menschen (Familie, Freunde, Kollegen) und ihrem Umgang mit seiner Krankheit und seiner sich verändernden Persönlichkeit berichtet dieses Buch. Und ebenso von seinem eigenen Verhältnis zum Parkinson, zur Welt und zu sich selbst im Verlauf der sich unausweichlich verschlimmernden Krankheit. Ein schmaler Band, genau, präzise, gründlich, schonungslos.
Dubiel schildert, wie er die Symptome aufgrund der Lektüre medizinischer Bücher an sich erkannte und doch nicht wahrhaben wollte. Er beschreibt, wie Beziehungen über die Krankheit kaputt gingen. Leichter fiel der Umgang mit dem Problem Menschen, die ihm ferner standen. Männer, mit ihrem eher distanzierten Verhältnis zu Menschen, kamen besser damit zurecht als auf Empathie und Mitgefühl erzogene Frauen. Er erzählt, wie ihm Ärzte die Tatsache nahe brachten und wie er darauf reagierte. Obwohl er am Vortag noch genau die Symptome in einem medizinischen Lexikon gelesen hatte, war seine spontane Reaktion auf die umstandslose Mitteilung eines jungen, hochmütigen Arztes, schlichtweg die Tatsachen zu leugnen.
Erst ein älterer Arzt, der die Diagnose bestätigte, brachte ihn dazu, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Dubiel berichtet von den Therapien, der mühseligen Linderung der Symptome mit Tabletten, vom Überhandnehmen der Nebenwirkungen und von einer Operation, die einige Symptome tatsächlich zum Verschwinden brachte, seinen Zustand insgesamt aber erheblich verschlimmerte. Das Einsetzen eines so genannten Hirnschrittmachers – eine Operation, die nur bei wenigen Patienten überhaupt durchgeführt wird, zum Beispiel bei verhältnismäßig jungen – geschieht bei vollem Bewusstsein, weil der Operateur sichergehen muss, nicht angrenzende Regionen des Hirns zu verletzen, wozu die Reaktionen des Operierten getestet werden müssen. Der Eingriff hat traumatische Folgen. Der Autor berichtet nicht nur von sich, sondern von allen mit vergleichbaren Erfahrungen, dass sie im Anschluss schreckliche Alpträume hatten.
Wie erwartet wurde der Tremor, das parkinson-typische Zittern, durch den Schrittmacher im Zaum gehalten. Aber der Patient bekam dafür andere Beschwerden: Schwindelanfälle, Sprachstörungen. Der Arzt in der REHA-Klinik ignorierte das, schrieb in die Berichte „der Patient gibt vor“, Sprachstörungen zu haben, tat sie als Hirngespinste ab. Er hätte ja auch neutral schreiben können, der Patient klagt über Sprachstörungen und Schwindelgefühle. Das zeigt die Arroganz und Ignoranz des medizinischen Systems, für das die OP vorschriftsmäßig durchgeführt wurde und „gut verlaufen“ war.
Am Ende fand der Kranke einen, vielleicht riskanten, Weg, durch zeitweises Ausschalten des Hirn-Schrittmachers bekommen. Wir lernen daraus, dass man mit Krankheit und Medizin kreativ umgehen kann, nicht willenloses Opfer bleiben Bestimmung, auch wenn sie eingeschränkt ist,
macht Hoffnung. Ein intelligenter und konsequenter Mensch schafft es immerhin, nicht völlig ausgeliefert zu sein. Aber er leidet unter den Mechanismen des Medizinbetriebes ebenso wie unter den Reaktionen der Menschen, die nichts von seiner Krankheit wissen, und an seiner eigenen Unfähigkeit, sie zu thematisieren. Dubiel beschreibt, wie er selbst, der die Erfahrung gemacht hat, dass Menschen auf Krankheitssymptome mit Unverständnis reagieren, gegen solches Unverständnis
nicht gefeit ist: „Beim Abendessen sah ich eine Gruppe von Menschen auf den Tisch neben mir zustreben, die zu der dröhnenden Faschingsmusik tanzten. Ich lächelte ihnen verlegen zu, weil mir die exaltierten, leicht überzogenen Bewegungen peinlich waren. Erst als die Musik abgestellt wurde und sie dennoch ihren grotesken Tanz weitertanzten, wurde mir der Sachverhalt erklärlich.
Es waren Schwerstkranke, die unter Chorea Huntington litten. Was ich für Tanzbewegungen gehalten hatte, waren die motorischen Störungen und überschießenden Bewegungen von Kranken.“
Helmut Dubiel, Tief im Hirn, Kunstmann, 142 Seiten, € 14,90
James Walla